Lehrstuhl für Finnougristik
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Leseproben

  • An der Forschung und der Studie haben Klára Gál, Mónika Isépy, Erika Mátyás, Natalie Rebele, Mária Siegel, Béla Dániel Szamek, Serena Szép und Angelika Wenke mitgearbeitet. Ein paar Auszüge aus ihrer Arbeit:
  • Der ungarische Lyrikkreis, der seit einiger Zeit auch den herausragenden Werken der ungari-schen Prosa größere Aufmerksamkeit widmet, gedenkt mit Freude dem 160. Jahrestag der Veröffentlichung des wunderbaren Meisterwerks des Brudervolkes, dem finnischen Nationalepos Kalevala. 1935, am 100. Geburtstag des Ur-Kalevala erwies Dezső Kosztolányi im Pesti Hírlap dem großartigen Werk und dessen vorzüglichem ungarischem Übersetzer Béla Vikár die Ehre. Seine Studie existierte bisher nicht in deutscher Übersetzung. Dank unseres Mitglieds Anna Maria Lopau wurden Kosztolányis Gedanken für uns alle zugänglich. Mit einem Ausschnitt daraus gedenken wir des 160jährigen Kalevala und des Übersetzers Béla Vikár, der in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden wäre.

 


Arany János (1817-1882)

Még ez egyszer...

 

Még ez egyszer, még utószor

Hadd zendűljön meg dalom;

Mért sebeim’ rejtegetni?

Szégyen-é a fájdalom?

Tán könnyebbűl a nyilt érzés

Ha sohajban rést talál:

Oh, ez örök benső vérzés;

Oh, e folytonos halál!


Egyedűl a társaságban,

Ezerek közt egyedűl...


(1877 után)

 

 

Noch dies einmal...

 

Noch dies einmal, noch ein letzt' mal

Soll erklingen mein Gesang;

Warum meine Wund' verbergen?

Hat Schmerz denn einer Schande Klang?

Leichter kann wohl offnes Sinnen

ausgedrückt im Seufzen werden:

Oh, dies ewig Bluten innen,

Oh, dies ständige Sterben!


Einsam auch in der Gesellschaft,

unter Tausenden allein ...


(dt. von Mónika Isépy, Ungarischer Lyrikkreis)


Bari Károly (*1952)

Keleti dallamra

 

Elámul egy rózsaszál.

Fényjáró fülemüle zeng.

Ajaj, sír az idő, a szép pásztorlány.

Sípja nincs, elveszett,

sár eszi.

Sár eszi a sípját.

Sziklákat terel.

Hajfonata a halál.

 

Auf eine orientalische Melodie

 

Sehr erstaunt ist eine Rose.

Die lichtschreitende Nachtigall schallt.

Ajaj, weint die Zeit, das schöne Hirtenmädchen.

Sie hat keine Flöte, sie ist verloren gegangen,

Schlamm frisst sie.

Schlamm frisst ihre Flöte.

Sie führt Felsen.

Ihr Haarzopf ist der Tod.


(dt. von Natalie Rebele, Ungarischer Lyrikkreis)


Bari Károly (*1952)

A befejezetlen tenger

 

Először a hallgatás,

aztán a madarakkal elővontatott hajnali ég

és az öregség,

amikor szerethetőbb a nincs, mint a van,

sodrába ránt a visszavonuló jelen,

a keltezhetetlen vonzás az apályos létben,

tűnőben minden távlat,

az egyszülött idő a világosság tollazatát tépdesi,

még rikoltozik a fény,

még mondom a világ neveit,

kiáltások zúdulnak át a tájon

és a szél sokezeréves mozdulatai,

a falevelek torkában beszéd előtti hangok,

nyárvég,

hullott arcok, napérlelte emlékezet.

 

Das unvollendete Meer

 

Zuerst das Schweigen,

danach ein von Vögeln herbeigezogener dämmriger Himmel

und das Altsein,

wenn das liebbarer ist, was nicht ist, als das, was ist,

die sich zurückziehende Gegenwart reißt einen in ihre Strömung,

die undatierbare Anziehung im verebbten Sein,

im Verschwinden jede Perspektive,

die eingeborene Zeit rupft das Gefieder der Helligkeit,

noch schreit das Licht gellend,

noch sage ich die Namen der Welt,

Schreie durchfluten die Landschaft

und die vieltausendjährigen Bewegungen des Windes,

in der Kehle der Blätter Laute, die dem Sprechen vorausgehen,

Sommerende,

gefallene Gesichter, sonnengereifte Erinnerung.


(dt. von Natalie Rebele, Ungarischer Lyrikkreis)


 

Dezső Kosztolányi (1885 – 1936)

Kalevala

 

Die größte Frage war dennoch, auf welche Art ungarisch das endgültige Kalevala erklingen sollte. Man konnte sich nicht gänzlich der heutigen Sprache zuwenden, aber die rauhe, rasselnde Altertümlichkeit der Leichenrede (Halotti Beszéd) oder der Chroniken schien auch unbrauchbar. Auch die Kunstdichtung kam nicht in Frage. Béla Vikár, der lange Jahre Volksmärchen und Volksdichtungen sammelte, und alle Dialekte kannte, wandte eine findige dichterische List an. Er behielt den heutigen geschliffenenen Wort- und Phrasenschatz bei, aber eher als Kostprobe, niemals zu Lasten der Verständlichkeit, sondern zur Charaktesierung und als Farbtupfer versah er den Text mit Dialektwörtern aus allen Teilen des Landes, aus Háromszék und Göcsej ebenso, wie von Ober-Theiss und Csallóköz, darüber hinaus hat er einige alte, ausgestorbene Wörter aus unseren Kodices wiederbelebt - und mit kühnem schlagfertigem Einfall - durch Wortverkürzung - neue Wörter geformt. Mit dieser meisterhaft gekünstelten, trotzdem natürlich fließenden zauberhaften Sprache erreichte er, daß das Kalevala quasi  zum Sammelbecken und Schmelztiegel unseres ganzen Wortschatzes wurde, als wenn er aus jedem der 52 alten Komitate eine handvoll Erde genommen hätte, um daraus einen symbolischen Hügel aufzuhäufen. Es ist eine nicht existierende Sprache, aber durch und durch ungarisch, daneben lässt sie die trübe Altertümlichkeit der unbekannten Vergangenheit unserer Sprache spüren, jenen Zauber erweckend, daß unser Kalevala nur so hätte gedichtet werden können, wenn es auf den Hochebenen Asiens nicht untergegangen wäre. In der Sprachwissenschaft werden jene abgeleiteten Wortformen mit Sternchen gekennzeichnet, über deren Existenz wir nichts Genaues wissen können, nur für wahrscheinlich halten, daß sie so gewesen sein könnten, wie die Wissenschaft annimmt. So ähnlich abgeleitet ist die Sprache des ungarischen Kalevala, mit dem Unterschied, daß diese nicht die wissenschaftliche Erwägung konstruierte, sondern die dichterische Inspiration erträumte. Die Finnen behaupten auch heute noch, daß die Übersetzung von Béla Vikár die herausragendste unter Allen ist. Henrik Paasonen schreibt, daß man den finnischen Text daraus rekonstruieren könnte, falls er verloren ginge. Ich bekenne mich auch dazu, daß unsere Literatur bisher drei wahre Wunder der Umdichtung besitzt, drei unerreichbare und gleichwertige Meisterwerke der Übersetzung. Das erste: János Aranys Hamlet, das zweite: Károly Bérczys Eugen Onegin, das dritte: Béla Vikárs Kalevala.