Lehrstuhl für Finnougristik
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Erfahrungsbericht Auslandssemester

Auslandssemester an der Eötvös Loránd Tudományegyetem, Ungarn, Budapest

September 2005 - Februar 2006
ERASMUS

von Veronika Mock

Allgemeine und Typologische Sprachwissenschaft / Finnougristik / Ethnologie,
Ludwig-Maximilians-Universität München

 

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SynagogeUm meinen Gesamteindruck vorweg zu nehmen: Ein Semester im Ausland, in diesem Fall in Ungarn, zu verbringen, war eine meiner besten Entscheidungen überhaupt! Ich habe die Zeit in Budapest unglaublich genossen, auch wenn ich hin und wieder mit kleinen Widrigkeiten des täglichen (ungarischen) Lebens zu kämpfen hatte.

Meine Motivation stammt vor allem daher, dass man an unserem Institut nach vier Semestern Ungarischunterricht keine Möglichkeit mehr hat, seine Sprachkenntnisse auszubauen (wenn man einmal von Konversation absieht). In Verbindung mit dem Gedanken an das Sammeln von Erfahrungen im Ausland erschien mir ein Auslandssemester in Ungarn ideal. Zeitlich passend (April 2005) gab Frau Kelemen überraschend bekannt, dass es nun für die Studierenden unseres Instituts die Möglichkeit gibt, in Budapest an der Eötvös Loránd Tudományegyetem zu studieren. Und so wurde mein Auslandssemester für das ungarische 1. Halbjahr (September 2005 bis Januar 2006) angesetzt – und ich war das Versuchskaninchen für die Zusammenarbeit unserer Universitäten.

"Hires vagy hírhedt?" – Unterkunft und andere Vorbereitungen

Den größten Teil der administrativen Vorarbeit – vom Bewerbungsformular bis zur Annahmeerklärung des Stipendiums – haben das Auslandsamt der LMU und vor allem Frau Kelemen geleistet. Genauere Informationen zur Universität und zur dortigen Lehre habe ich vom Auslandsamt und besonders von Freunden erhalten, die bereits ein Jahr in Ungarn an der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) verbracht hatten, allerdings nicht als Stipendiaten. Aktuelle Informationen waren allerdings schwer zu bekommen, da die ELTE weder über eine eigene Internetseite für Erasmus-Studenten verfügt, noch ausführliches Informationsmaterial in Papierform zur Verfügung stellt.

Frau Kelemen unterstützte mich besonders in der Frage nach der Unterkunft in Budapest (Hála Istennek!) Von ungarischen Wohnheimen hatte ich im Vorfeld schon viel gehört... und ehrlich gesagt meistens Unrühmliches. Aber ich wollte auf jeden Fall in ein kollégium, erstens wegen der Kontakte zu anderen ungarischen Studenten (diese Überlegung hat sich total gelohnt!), und zweitens um selbst festzustellen, ob die Wohnheime nun eher berühmt oder berüchtigt sind. Außerdem: Wenn schon auf Ungarisch studieren, dann sollten auch die Hintergrundbedingungen stimmen!

Ein Wohnheim, in meinem Fall das "Nándorfejérvári Úti Kollégium", und eine Kontaktperson dazu war relativ schnell gefunden. Leider erhielt ich trotz mehrmaliger Anfragen keine Antwort vom Wohnheim, obwohl Details wie Preis, Art des Zimmers, Ausstattung, Lage oder Verkehrsanbindung noch völlig unklar waren. Ich wusste nur, dass ich ein Zimmer bekomme. Erst nachdem Frau Kelemen den Zuständigen gezeigt hat, was sie mit einem Telefon alles anstellen kann, bekam ich Antwort per Email und kam so ich dann an die nötigen Details.

Herbstlicher InnenhofFünf Tage vor offiziellem Semesterbeginn in Ungarn (Anfang September) fuhr ich mit dem Zug von München nach Budapest. Dort suchte ich mein Wohnheim auf und bekam überraschenderweise ein Einbett-Zimmer zugewiesen, mit DSL-Internetanschluss und täglicher Zimmerreinigung, beides im Preis von 42.000 Forint/Monat (ca. 168 €) bereits enthalten. Dieser Preis ist für Budapest relativ hoch, in der Innenstadt kann man im Rahmen einer WG billigere Zimmer bekommen, zu denen allerdings noch die Nebenkosten kommen. Mein Zimmer war Teil einer Wohneinheit aus drei Einzelzimmern, die sich ein Badezimmer mit Dusche und Waschbecken, eine Toilette, einen Kühlschrank, eine Mikrowelle und eine kleine Abstellkammer teilten. Mein Zimmer war hell, geräumig und sauber, vereinzelt schaute mal Besuch in Gestalt einzelner Ameisen herein, die jedoch kein ernstes Problem darstellten. Ein Mangel waren eher die schlecht schließenden Fenster und Türen, gerade im Winter. In unserer Bude war bereits eine gewisse Grundausstattung an Geschirr vorhanden, es gab eine Gemeinschaftsküche auf dem Gang sowie ein Fernseh- und Aufenthaltsraum. Mit Organisatorischem, wie Bezahlung der Miete, Freischaltung des Internetanschlusses im Zimmer, Beschwerden und technischen Problemen konnte man sich an das Wohnheimbüro wenden, das wochentags von 7 bis 15 Uhr geöffnet war. Die Leute dort waren sehr nett und eigentlich immer in der Lage mir weiterzuhelfen, sei es mit einer Glühbirne, ein paar Waschjetons oder einfach einer gemütlichen Ratscherei.

Obwohl das Wohnheim im XI. Bezirk Kelenföld und damit relativ weit von der Innenstadt und der Universität am anderen Donauufer entfernt lag, war die Fahrzeit nicht allzu lang. Die Anbindung an das öffentliche Nahverkehrssystem BKV war exzellent, ich konnte Straßenbahn und Bus nutzen (Das Einzige, worüber ich mich beklage, ist, dass die neue U-Bahn-Linie 4 noch im Bau war, als ich in Budapest wohnte. Sie wäre fast genau vor meine Haustüre gefahren!) So habe ich meistens von meiner Zimmertür bis in die Hallen der Budapester Finnougristik ca. 35-40 Minuten gebraucht . Nachts nach Ende des regulären Fahrplanes fuhren regelmäßig Nachtbusse in einem Takt von 10 bis 30 Minuten – eine Neuerung seit September 2006, ohne die ich wohl noch manche weitere winternächtliche Wanderung von Pest nach Buda hätte hinlegen müssen...

"Bürokrácia vs segítőkészség" – Administratives an Universität und auf Behörden

So sehr mich mein Gastinstituts, die Budapester Finnougristik, in Organisationsfragen unterstützt hat, so sehr muss ich leider das Erasmus- bzw. Auslandsamt (Nemzetközi titkárság) der ELTE kritisieren.

Parlament in der AbendsonneAls Ansprechpartner für ausländische Studenten war trotz Semesterbeginn nur ein einziger Mitarbeiter im Dienst. Er konnte zwar in der Not relativ gut englisch sprechen und auch die offiziellen Dokument- und Bescheinigungsfragen zügig und ausführlich beantworten. Sobald es aber um Fragen nach dem Bewertungssystem der ELTE ging, konnte auch er nicht weiterhelfen. Das Problem war nämlich, dass die ELTE zur Zeit meines Besuchs mitten im Bologna-Prozess steckte und das ganze System im Umbruch begriffen war. Nach meiner Erfahrung war niemand in der Lage, mit Bestimmtheit zu sagen, ob die ELTE bereits das ECTS-System bei der Bewertung von Studienleistungen anwendet oder ob sie noch das ungarische Credit-System verwendet (das nicht den ECTS-Credits entspricht!). In meinem Fall kam es zwar darauf nicht an, aber einige befreundete Gaststudenten, die auf diese Bewertung angewiesen waren, kamen wirklich in Schwierigkeiten. Der Ansprechpartner im Auslandsamt war auch Anlaufstelle bei der Beschaffung des ungarischen Studentenausweises, ohne den man nicht an die sehr günstigen Monatskarten für das öffentliche Verkehrssystem (BKV) herankam. Leider dauerte es bei mir drei Wochen, bis ich meinen Ausweis erhielt – ich weiß, dass es auch zügiger gehen kann. Den Ausweis bekam man auf dem zuständigen Amt, der Quaestura ausgehändigt, nachdem man mit Hilfe eines Einzahlungsformulars 500 Forint (ca. 2 €) auf dem Postamt eingezahlt hatte und dies auch mit der abgestempelten Quittung belegen konnte. (Übrigens: Falls man plant, nur ein Semester statt zweien in Budapest zu studieren, erhält man nur den zeitlich befristeten Studentenausweis, der alle 60 Tage verlängert werden muss. Das kann sehr unangenehm sein, denn ein Besuch auf der Quaestura war fast immer mit Wartezeiten von 1-2 Stunden verbunden.)

Ein weiteres Manko war der Zugang zum Vorlesungsverzeichnis (kurzuskínálat) der ELTE. Wäre ich in meiner ersten Woche nicht von einer ungarischen Freundin unterstützt worden, hätte ich es niemals gefunden. Es wird ausschließlich im Internet veröffentlich, was man wissen muss.

Theoretisch ist jedem ausländischen Studenten ein eigener Erasmus-Beauftragter zugewiesen, der in irgendeiner Weise an seinem Gastinstitut arbeitet. In meinem Fall war meine Erasmus-Beauftragte allerdings nicht an meinem Institut tätig und konnte mir deshalb nicht wirklich weiterhelfen, leider nicht in der Frage nach dem Bewertungssystem. Bessere Unterstützung erhielten die ausländischen Studenten dafür durch eine gemeinsame Mailingliste, durch die man Informationen über geplante, gemeinsame Treffen, Partys oder Ausflüge erhielt – perfekt für den Anschluss an andere Erasmus-Studierende. Organisiert wurden diese von der dortigen Studentenvertretung.

Sehr weitergeholfen hat dagegen die mir zugewiesene Erasmus-Mentorin, ein geniales Prinzip, um Gaststudenten nicht untergehen zu lassen, ihnen das studentische Leben in Budapest zu zeigen und ihnen im Notfall jemanden zur Seite zu stehen. Die Gruppe der Mentoren besteht aus ungarischen ELTE-Studenten, die sich bereit erklärt haben, ausländischen Studenten in Fragen zur Organisation und zum Leben in Budapest unter die Arme zu greifen. (In meinem Fall war dieser Kontakt sogar "egy csodálatos barátság kezdete", wenn ich an dieser Stelle den perfekt ungarisch sprechenden Humphrey Bogart zitieren darf )

Iparművészeti múzeumAuch wenn man mir seitens der Universität in manchen organisatorischen Fragen nicht immer weiterhelfen konnte, so stieß ich doch in jeder Situation auf große Hilfsbereitschaft, und irgendwie fand sich dann doch immer eine Lösung. Eigentlich halte ich mich nicht für einen Menschen, der einer ganzen Nation mal pauschal einen Stempel mit einer bestimmten Charaktereigenschaft aufdrückt. Aber hier geht es um die erlebte überwältigende Hilfsbereitschaft, auf die ich nicht nur an der Universität gestoßen bin. Ungarn sind in jeder Lebenslage bereit, irgendwie weiterzuhelfen, egal wie dumm man sich anstellt und wie offensichtlich die Lösung sein mag! An dieser Stelle sei ein kleiner Vergleich zwischen Deutschland und Ungarn angestellt: Fragt man auf der Straße einen Deutschen, wo denn der Schalter für Wochenkarten sei, so wird er mit einiger Sicherheit detailliert beschreiben, um welche Ecken man in welcher Richtung zu gehen hat. Er deutet noch kurz in die betreffende Richtung und geht von dannen. Stellt man dieselbe Frage einem Ungarn, so wird man unter den Arm geklemmt und persönlich hingebracht – egal, was der Angesprochene gerade vorgehabt haben mag.
Deutschland, lerne!

Die einzige unerfreuliche Ausnahme auf der Suche nach Informationen und Unterstützung stellten allerdings die ungarischen Behörden dar. Ich hatte mich zu Beginn meines Aufenthalts auf der Einwanderungsbehörde um eine Aufenthaltsgenehmigung bemüht (ob ich sie als EU-Bürgerin gebraucht hätte, sei einmal dahingestellt). Ich bin auf nie gekannte Ausmaße von Arroganz und Unfreundlichkeit gestoßen. Mein Ungarisch stieß verständlicherweise an seine Grenzen, wenn behördliche Fachbegriffe ins Spiel kamen, allerdings war keiner der Mitarbeiter bereit oder in der Lage, englisch oder deutsch mit mir zu sprechen. Insgesamt war ich fünf Mal auf dem Amt, teilweise, weil mir durch lückenhafte Informationen Unterlagen gefehlt haben. An dieser Stelle muss ich auch ausdrücklich das Münchner Auslandsamt kritisieren: Vor Antritt meines Semesters in Budapest habe ich dort explizit nachgefragt, ob ich nicht eine offizielle Bescheinigung darüber bräuchte, dass ich Erasmus-Stipendiat bin und wie hoch mein Stipendium ist. Angeblich bräuchte ich das nicht. Genau nach dieser Bescheinigung wurde ich allerdings auf der Einwanderungsbehörde gefragt, um meine Aufenthaltsgenehmigung und meine Wohnsitzkarte (lakcímkártya) zu bekommen. Ein entsprechendes Dokument hatte ich jedoch nicht, weil ich mich auf die Aussage von München verlassen hatte. Alles in allem hat mich der Prozess, der sich über 5 Wochen hinzog, bei jedem Besuch 1-2 Stunden gekostet. Damit war dann allerdings der unangenehmste Teil erledigt und irgendwie bin ich dann doch an meine Dokument gekommen.

Rund ums Studium herum

Zum ungarischen Studiensystem muss gesagt werden, dass es genauso wie in anderen Ländern unüblich ist, in Semestern, also in Halbjahres-Einheiten zu zählen. Vielmehr wird das ungarische Studium jahresweise gezählt (tanév). Das Kursangebot ist dementsprechend ausgerichtet: die meisten Kurse bestehen meist aus zwei aufeinander aufbauenden Abschnitten, von denen der erste im Herbstsemester (1. Halbjahr bzw. őszi szemeszter), der zweite im darauf folgenden Frühlingssemester (2. Halbjahr bzw. tavaszi szemeszter) stattfindet. Der Jahrescharakter eines Studienabschnitts wird auch darin deutlich, dass die Vorlesungszeit (szorgalmi idő) nur bis kurz vor Weihnachten reicht, danach schließt die ca. 6-wöchige Prüfungszeit an, auf die unmittelbar die Vorlesungszeit des Frühlingssemesters folgt. Ferien in diesem Sinne gibt es also nur nach Ende des Prüfungszeit des Frühlingssemester, dafür dann über mehrere Monate.

Innenhof der ELTEDie Studienbedingungen an der Budapester Universität schwanken extrem je nach Institutszugehörigkeit. Da ich in meinem Fall an der Budapester Finnougristik studierte, die sehr klein und übersichtlich ist, war die Unterrichtssprache durchweg Ungarisch (im Gegensatz zu größeren Fächern mit Kursen auf Englisch oder gar Deutsch). Das Einhören, vor allem in der ersten Woche, war sehr anstrengend, aber mit der Zeit waren auf jeden Fall deutliche Fortschritte spürbar. Meinen immer noch wackeligen Ungarischkenntnissen kam sehr entgegen, dass die meisten meiner Kurse sehr klein waren, mit Teilnehmerzahlen zwischen zwei und zwölf. Dadurch war es durchaus möglich und störte auch nicht, wenn ich bei Verständnisschwierigkeiten noch einmal schnell nachgefragt habe, z. B. nach der Bedeutung eines ungarischen Fachterminus etc. Außerdem sind die meisten Dozenten in der Lage, eventuelle Fragezeichen in den Gesichtern ihrer Studenten zu erkennen und darauf einzugehen.

Jeder ERASMUS-Student ohne Muttersprache Ungarisch nahm obligatorisch an einem begleitenden Ungarisch-Sprachkurs teil, den das dortige Institut für Ungarisch als Fremdsprache organisierte. Aufgrund von Geldproblemen waren die unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen der Kurse sehr weit von einander entfernt. Eine angemessene Feinabstufung nach Kenntnisstand des Lerners war so leider nicht möglich. In meinem Fall kamen drei Lernstufen zustande: Die absoluten Anfänger, die Fortgeschrittenen mit gewissen Grundkenntnissen (ein ebenfalls sehr dehnbarer Begriff) sowie mein Kurs mit dem höchsten Niveau. In meiner Gruppe sammelten sich Leute mit bereits fundierten Grammatikkenntnissen, aber ohne Sprech­erfahrung, oder auch Leute, die sehr flüssig und idiomatisch Ungarisch sprechen konnten (teilweise durch ungarische Eltern), aber keine Ahnung von Rechtschreibung oder Grammatikstrukturen hatten. Ich gebe zu, dass es für unsere Lehrerin sehr schwierig war, alle unter einen didaktischen Hut zu bringen. Aber meiner Meinung nach bewältigte sie es sehr gut, unter anderem durch eine Mischung aus Textarbeit mit Zeitungsartikeln, gezieltem Besprechen von unklaren Grammatikpunkten und Übungen dazu, Gespräche über Kultur und Geschichte Ungarns, Konversationsübungen, Lückentexte, Hörverstehen mit Radiobeiträgen etc. Mir persönlich hat der Kurs sehr viel gebracht, ich war gefordert, aber nicht überfordert. Den Großteil meines Ausdrucksvermögens im Ungarischen führe ich jedoch auf meinen täglichen Umgang mit meinen ungarischen Freunden, Bekannten und Lehrern zurück.

Berichte darüber, dass das ungarische Universitätssystem sehr verschult sein soll, kann ich nur teilweise bestätigen. Es stimmt insofern, als bei der Erarbeitung von Stoff weniger Selbstständigkeit erwartet wird, sehr oft werden Aufgaben verteilt in Form von Hausaufgaben, oder Lernstoff wird genau bezeichnet mit Angabe von Titel und Seitenzahl. Ansonsten muss ich zugeben, dass ungarische Studenten einem härteren Leistungs- und Prüfungsdruck ausgesetzt sind, als ich es von meinem geisteswissenschaftlichen Studium in Deutschland gewohnt bin. Vermutlich liegt es daran, dass in relativ kurzer Zeit sehr viele Prüfungen geschrieben und Hausarbeiten abgegeben werden müssen.

Die Budapester FinnougristikMeinen Lehrern und allen Beschäftigten meines Gastinstituts muss ich noch einmal an dieser Stelle wärmstens danken. Obwohl es offiziell nicht ihre Aufgabe war, mich in Erasmus-Fragen zu unterstützen und zu beraten, waren sie sehr hilfsbereit und zuvorkommend, erkundigten sich, wie es mir geht, und waren sofort bereit, mir zu helfen, wenn ich mit irgendeiner organisatorischen oder fachlichen Frage nicht weiterkam. Auch der Kontakt zu meinen ungarischen Mitstudenten (und natürlich auch den anderen ausländischen Erasmus-Studenten) fiel mir sehr leicht, einfach weil alle unglaublich entgegenkommend waren. Das ist immens wichtig, wenn man etwas vom unentbehrlichen szleng mitbekommen möchte!

Dazu eine Anmerkung zu/Warnung vor zuviel eigenständiger Anwendung von szleng: Irgendwann lernt jeder, dass tök jó soviel wie 'cool' bedeutet. Und so logisch es auch erscheinen mag – es berechtigt einen noch lange nicht, seine lieben Mitstudenten tök zu nennen! (...gell, Zsófi?) Schon gar nicht, wenn der Történeti hangtan-Lehrer dabei ist!

Sehr haben mir meine Mitstudenten geholfen, als es um die Belegung der Kurse ging. Im zentralen Vorlesungsverzeichnis wurden zwar Veranstaltungstitel, Dozent und Kurscode bekannt gegeben, die wichtigen Daten für die Erstellung eines Stundenplanes, also Wochentag und Uhrzeit fehlten jedoch. Diese wurden in einem gemeinsamen Treffen im Institut von Studenten und Dozenten in kurzen Gesprächen festgelegt – eine Spezialität der Budapester Finnougristik! Der Hintergrund für dieses Vorgehen war, dass ein so kleines Institut wie die Finnougristik sich keine vorher festgelegten Kurstermine leisten kann, ohne terminlich mit den großen Instituten wie Anglistik, Germanistik oder Geschichte in Konflikt zu kommen. Deshalb werden die eigenen Kurstermine erst dann in Absprache mit Dozenten und Interessenten festgelegt, wenn die Kurse und Vorlesungen der "großen" Institute bereits bekannt sind, und im Stundenplan berücksichtigt werden können. An und für sich ein durchdachtes und flexibles System, dass allerdings nur anwendbar ist, wenn man in der Lage ist, sich auf ungarisch mit seinen Dozenten und Mitstudenten über Termine zu verständigen und genau weiß, welchem Dozenten man da gerade gegenübersteht. Auch wurde ich wieder gerettet, indem ich typisch ungarisch unter den Arm geklemmt und einfach mitgeschleift wurde.

SpiegelweltenÜberhaupt ist es von Vorteil, wenn man soweit Ungarisch spricht, dass man zumindest einfachere Gespräche führen kann. Denn in Ungarn ist es (noch) nicht selbstverständlich – selbst für jüngere Menschen – dass ein Ungar eine Fremdsprache, z.B. Englisch oder Deutsch, gut genug beherrscht, um bei der Lösung von Problemen oder dem Beantworten von Fragen helfen zu können.  Dies war jedoch weniger im universitären Umfeld ein Problem als im täglichen Leben.

Mein Stundenplan umfasste einen breiten Querschnitt aus dem Veranstaltungsangebot des Instituts, von Sprachphilosophie bis Sprachtypologie, von historischer Phonologie bis diversen Sprach- und Struktur­kursen. Es ist eine etwas "gefährliche" Angelegenheit, wenn man mit einem Kursangebot konfrontiert wird, das man in München so nicht finden kann – der Stundenplan wird einfach zu voll. Ohne die Qualität unseres eigenen Veranstaltungskanons schmälern zu wollen: Es macht sich schon leichte Begeisterung breit, wenn man die Möglichkeit erhält, bei einer Muttersprachlerin Chantisch zu lernen, in diesem Fall bei Sofya Onina. Zum oben bereits erwähnten Ungarischkurs und dem Kurs "Synja-Chantisch" kamen in meinem Fall noch "Mari", "Estnisch" und "Surgut-Chantisch". An diesem Punkt muss ich zugeben, dass es etwas schwierig ist, die Balance zwischen dem breiten Kursangebot und einem entspannten Erasmus-Aufenthalt zu finden. Meiner Meinung nach dient ein Auslandsaufenthalt nicht allein dem Scheinerwerb, wie ich ihn in München auch betreiben kann. Für viel wichtiger halte ich die Erfahrungen und Eindrücke, die man dort sammelt, das Leben in einer anderen Nation, eine neue Umgebung, die zwangsläufige Kommunikation in einer Fremdsprache. Und der Ort dafür ist nicht ausschließlich die Universität.

Finanzielles

PostatakarékpénztárDas Preisniveau von Budapest ist im Vergleich zum Rest von Ungarn sehr hoch, aber immer noch niedriger als in Deutschland, ganz zu schweigen von München. Zu meiner Miete von ca. 170 € kamen noch Kosten für Verpflegung, Nahverkehr, Lehrmaterialien (Kopien und Bücher) sowie Freizeit und Weiterbildung hinzu. Relativ günstig sind Nahrungsmittel (ich empfehle jedem túró rúdi!). Nicht zu unterschätzen ist der finanzielle Vorteil durch den ungarischen Studentenausweis. Vor allem Bücher und Zug­reisen sind erheblich günstiger. Kaum von Bedeutung ist der internationale Studentenausweis ISIC.

Alles in allem kamen auf mich monatliche Kosten von ca. 400 € zu, die das Erasmus-Stipendium in Höhe von insgesamt (!) 300 € absolut nicht abgedeckt hat. Den Großteil musste ich also selbst bezahlen. (Je nach Zeitraum und Anzahl der Stipendiaten kann es allerdings noch einmal eine Nachzahlung durch das Münchner Auslandsamt geben, je nachdem, ob Gelder übrig geblieben sind.)

Schön und gut. Und was hab ich davon?

Mein Aufenthalt in Budapest war von vornherein nicht als reines Fachsemester geplant, um bestimmte obligatorische Scheine zu machen. Vielmehr war der Anreiz für mich die Verbesserung meiner Ungarischkenntnisse und das Kennenlernen einer neuen Umgebung, in diesem Fall der Stadt Budapest und des Landes Ungarn.

Keleti pályaudvar am frühen AbendDurch den engeren Kontakt mit meinen ungarischen Wohnheimsnachbarn und Mitstudenten, Freunden und Bekannten habe ich Ungarisch als Sprache des Alltags erlebt, eine Seite, die ein Lehrbuch niemals vermitteln kann. Die vielen neuen Freundschaften gaben mir mehrmals die Möglichkeit, verschiedene Städte und Gegenden außerhalb von Budapest zu besuchen (Pécs, Győr, Szombathely, Kecskemét, Esztergom und einige andere), teilweise auch im näheren Ausland (z.B. Bratislava). Mein persönlicher Favorit bleibt jedoch Budapest, eine wunderschöne Stadt im Jugendstil, garniert mit patriotischer Architektur und sozialistischen Bausünden, dazu ein Charme irgendwo zwischen Wien und Osteuropa. Von diesem interkulturellen Blickpunkt aus habe ich vor allem Mittel- und Osteuropa sehr zu schätzen gelernt. Und weil ich mir endlich ein eigenes Bild gemacht habe, konnte ich mich endlich von leider immer noch weit verbreiteten Klischeevorstellungen über ehemalige Ostblockstaaten verabschieden. Ich kann mir nun auch gut vorstellen, nach meinem Abschluss in Ungarn zu leben und zu arbeiten.

Fassade des Gresham-palotaAuch wenn das Halbjahr an der ELTE nicht in erster Linie als Schritt in Richtung Universitätsabschluss gedacht war, so habe ich auch fachlich davon profitiert. Neben den erweiterten Sprachkenntnissen habe ich auch mein eigenes Studienfach in einer anderen Umgebung erlebt. Sehr interessant waren die Unterschiede zwischen den einzelnen finnougrischen Instituten, in diesem Fall zwischen München und Budapest. Das betraf unter anderem die Setzung von fachlichen Schwerpunkten, sichtbar z. B. daran, dass es eine eigene Lektorenstelle für Chantisch gab. Für diesen Blick über den "fachlichen Tellerrand" bin ich sehr dankbar. Auch hatte ich die Möglichkeit genutzt, an einigen Finnougristik-Konferenzen teilzunehmen. Das ist ein Erlebnis, wenn einem Rédei Károly persönlich über den Weg läuft. Oder wenn man Domokos Péter pálinka zum Geburtstag schenkt...

Ich kann's nur wiederholen: Leute, geht's nach Budapest!!

Oder habt Ihr schon mal erlebt, dass man sich in eine Stadt verlieben kann??

        Veronika Mock

Silhouette der Szabadság híd