Lehrstuhl für Finnougristik
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Attila József in Wort und Klang

Veranstaltung zum Ungarischen Kulturjahr in Deutschland

"Verzeiht mir bitte, wenn schön meine Dichtung / und liebt mich lieber dafür.-"

Einführung

Publikumsstimmen

Durchführung: Mária Kelemen, Lektorin für Ungarisch, LMU München
Zeit: 9. Mai 2006, 19.00 Uhr
Ort: IBZ (Internationales Begegnungszentrum der Wissenschaft), Amalienstraße 38, 80799 München
Ungarischer AkzentEine gemeinsame Veranstaltung des Instituts für Finnougristik der LMU und des Generalkonsulates der Republik Ungarn im Rahmen des Ungarischen Kulturjahres in Deutschland 2006-2007 "Ungarischer Akzent"

 


2005 war das Jahr, in dem der 100. Geburtstag des ungarischen Lyrikers Attila József gefeiert wurde. Sein Werk hielt durch eine Neuübersetzung Einzug in den deutschen Sprachraum und wurde so einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Nun ist es an der Zeit, einen Schritt weiterzugehen. Das dichterische Lebenswerk Attila Józsefs liegt in schillernder Vielfalt vor uns. Überbordend der Inhalt, streng die Form - diese Spannung ist kennzeichnend für seine Dichtung wie auch für seinen leidvollen Lebensweg. Leicht verführen tragische Ereignisse in seiner Biographie dazu, Legenden um seine Person zu ranken. Schließlich war es auch Attila József selbst, der, bevor er es in Verse kleidete, sein eigenes Leben erfand. Zahlreiche Begebenheiten konstruierte er zu dramatischen Szenarien um, die er wiederum in seine Verse packte: doppelte Dichtung.

Weitaus wichtiger ist es, das Werk selbst zu betrachten, um seines Eigenwertes willen anzunehmen und zu interpretieren. Darum bittet auch der Dichter, indem er schreibt: "Bocsássatok meg, hogyha jó a versem / és szeressetek érte. -" ("Verzeiht mir bitte, wenn schön meine Dichtung / und liebt mich lieber dafür.-") (dt. von Natalie Rebele).

Mit Christoph Luser (geb. 1980 in Graz, seit 2002 Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele, 2001 Auszeichnungen als bester Nachwuchsschauspieler) hat sich nun ein junger Schauspieler der Gedichte Attila Józsefs angenommen. Die szenische Lesung des Schauspielers wird durch das Sebő-Ensemble mit seiner musikalischen Interpretation bereichert.


Einführende Worte von Mária Kelemen (Moderation)

Sehr verehrtes Publikum, liebe Gäste!

Einer der bedeutendsten ungarischen Lyriker, Attila József, schreibt in seinem Gedicht "A Dunánál" / "An der Donau" über sich selbst:

"Anyám kún volt, az apám félig székely,
félig román, vagy tán egészen az.
Anyám szájából édes volt az étel,
apám szájából szép volt az igaz."

"Mutter war Kumanin, Vater halb Szekler,
halb Rumäne oder Rumäne gar.
Aus der Mutter Mund war mir süß die Speise,
aus des Vaters Mund das Wahre wunderbar."

Einer seiner Freunde sagt über ihn:

" ... seine Augen, seine Gesichtszüge erinnerten an die in Büchern dargestellten Bilder tibetischer Hirten, chinesischer Landarbeiter. Mit seinem dunklen, dichten Schnurrbart sah er Petőfi zum Verwechseln ähnlich, dem Petőfi der 1840er Jahre."

Doch nicht nur das Außere verband diese beiden Dichter. Sándor Petőfi war eine herausragende Gestalt der ungarischen Literatur, ein genialer Meister der ungarischen Sprache: seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen der Welt übersetzt. Ein bedeutendes lexikalisches Werk, das so genannte Petőfi Wörterbuch, beinhaltet den verwendeten Wortschatz des Dichters, der schon mit 26 Jahren starb. Es enthält 22719 Einträge. Petőfis Mutter war eine Slowakin, der Vater Kroate.

Womit kann dieses bemerkenswerte Phänomen erklärt werden? Das Phänomen nämlich, dass beide trotz nicht-ungarischer Abstammung sich voller Hingabe dem Ungarischen widmeten. Es mag der Zauber der ungarischen Sprache sein. Ich selbst sehe meine Aufgabe als Ungarischlektorin am Institut für Finnougristik/Uralistik nicht allein in der Vermittlung von Sprachkenntnissen. Vielmehr liegt es mir am Herzen, die Schönheit, Vielfalt und Ausdruckskraft des Ungarischen zu zeigen.

Für viele von uns hier im Raum ist Ungarisch die Muttersprache und somit eine Selbstverständlichkeit.

Für andere wiederum - für unsere Studierenden - ein Teil des Lehrplanes, obligatorisches Lehrmaterial. Die Sprache Attila Józsefs ist anfangs lediglich eine Lektion im Lehrbuch der ungarischen Sprache. Für die begabtesten wie für manche im Ungarischen Lyrikkreis wird jedoch sogar die Höhe seiner dichterischen Sprache erreichbar.

Wenn die Gedichte von Attila József auf Ungarisch oder gar in einen anderen Sprachtyp, wie hier ins Deutsche, übersetzt, erklingen, können unserer Aufmerksamkeit die Vielfalt seiner Ausdrucksformen und die aus den Traditionen schöpfende Modernität seiner Lyrik nicht entgehen. Er ließ sich für zahlreiche Gedichte vom finnischen Nationalepos, dem Kalevala, inspirieren.

Mit besonderer Vorliebe verwendete er Motive, Rhythmus und Metrik dieses Werkes der Weltliteratur, eines seiner Lieblingsbücher. Neben der ungarischen Volksdichtung und dem Volkslied war das Kalevala eine grundlegende Quelle seiner Dichtung. Was für viele nur als Lehrstoff galt, war für József lebendige Tradition. Nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch in seiner Botschaft. Neben dem wichtigen ethnographischen Werk "Ungarischer Volksglaube und Volksbräuche" standen alle sechs Bände der wogulischen Bärenlieder in seinen Bücherregalen. Was für viele Philologen linguistisches Rohmaterial ist, war für ihn Dichtung. Er war stolz darauf, dass seine Poesie dieser Urdichtung entsprang.

Die Lyrik, wie davon auch die urprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes "lyra = Leier, Saiteninstrument" zeugt, entstand zusammen mit dem Gesang, mit der Melodie. Die beiden bildeten eine organische Einheit. Diese Musikalität war bis zum 18. Jahrhundert ein Kriterium jedes einzelnen Gedichtes. Es ist nur Sitte des modernen Zeitalters, die Dinge in ihre Einzelteile zu zergliedern und sie getrennt voneinander zu betrachten. Wir aber streben nach der Vollständigkeit. Um diese wiederherzustellen, haben wir einen deutschen Schauspieler und unsere ungarischen Musikerfreunde eingeladen.

Christoph Luser ist ein junger, mehrfach ausgezeichneter Schauspieler, der Sprachbarrieren und beinahe 100 Jahre überwindend, den ungarischen Dichter heraufbeschwört.

Wir sind auf der Suche nach den Gesetzmäßigkeiten des Gedichtes, nach dessen innerem Rhythmus und der Melodie, die sich im Vers verbirgt. Der Komponist, Musikwissenschaftler und Volksmusikforscher Ferenc Sebő ist ein wahrer "Meistersänger" seiner Zunft. Mit dem Scharfblick eines Wissenschaftlers und der Empfindsamkeit des Künstlers gelangt er in die Tiefe der Gedichte und findet die vom Dichter ausgewählte musikalische Form und führt dem Vers die adäquate Melodie zu.

Im ungarischen Ort Zöldhalompuszta wurde die Darstellung eines goldenen Hirschen, der ursprünglich als Schildzierde gedient hatte, gefunden. Er ist der größte seiner Art trotz seiner Versehrtheit. Der Spaten der Fündigen hat ihn nämlich zerschnitten und es ist nur mühsam gelungen, seine Bruchstücke zu sammeln. Trotz aller Bemühungen blieb er fragmentarisch.

Das einst einheitliche Weltbild der menschlichen Kultur ist auch in Stücke zerfallen. Es ist jedoch eine Notwendigkeit, die höchsten Werte der universellen menschlichen Kultur zu kennen, auch in ihrem durch Landesgrenzen und Diskriminierung zersplitterten Zustand, gerade deshalb. Dies ist nicht nur eine politische Notwendigkeit, dies ist unsere Pflicht, um unser menschliches Gesicht nicht zu verlieren. Die Vermittlung der in den verschiedensten Sprachen der Welt formulierten Werte lohnt jede Anstrengung. Das ist die wichtigste Aufgabe und Mission des heutigen Abends.

Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist das Näherkommen der Völker Europas, gar der Welt in erster Linie eine menschliche und nicht politische Notwendigkeit. Fügen wir das Wertvollste unserer geistigen Werte erneut aneinander. Möge dieser einst zersplitterte Hirsch ein Symbol des Wiederzusammenfindens und der gegenseitigen Achtung sein!

Der Hirsch hat eine weitere symbolische Bedeutung, dies erfahren aber nur diejenigen, die der Einladung zu unserer nächsten Veranstaltung im Juni folgen.

Ich wünsche Ihnen einen, wie wir Ungarn sagen, inhaltsvollen Abend und gute Unterhaltung!"


Publikumsstimmen zur Veranstaltung

Diplomatie, Wissenschaft, Literatur und Musik bildeten die Brücke von der ungarischen zur deutschen Sprache. Attila József stand im Zentrum einer Veranstaltung des ungarischen Kulturjahres in Deutschland, gestaltet von einem deutschen Schauspieler, Christoph Luser von den Münchner Kammerspielen, und ungarischen Musikern. Ferenc Sebő und seine Musiker sangen und spielten so, dass die Melancholie der Verse die Herzen berührte.

Nach wohl gesetzten Einleitungsworten stand ein strahlender junger Mann auf, der durchaus Ähnlichkeit mit dem jungen Dichter hat, und sprach den ersten Vers ins Publikum. Sein Bewegungsradius war begrenzt, aber er schaffte es mit ein paar Schritten, einer Sitzhaltung, die übersetzten Verse Attila Józsefs zu Szenen zu verdichten und die Sprache durch seine Vortragskunst auch in der deutschen Übersetzung zum Leuchten zu bringen. Was er deutsch rezitierte, griffen die Musiker mit ihren kongenialen Vertonungen auf. Die an die Wand projizierten Bilder aus Józsefs Leben und zu Stimmungen der Gedichte verbanden Sprache und Musik. Kultur als gemeinsame europäische Sprache – an diesem Abend wurde gezeigt, was das bedeuten kann. Und dem Werk des Dichters Attila Józsefs wäre zu wünschen, dass es auch in Deutschland mehr ist als nur ein „Ungarischer Akzent“.

Karola Martin, Dramaturgin

 

Wir bedanken uns sehr herzlich für die interessante Vorführung „Attila József in Wort und Klang“. Gefallen hat uns, wie wir ihn durch seine Texte, gesprochen von dem begabten jungen Schauspieler und gesungen von der Sebő Együttes, kennen gelernt haben. Diese Musiker haben der Sache durch die Art und Weise ihres Musizierens viel Schwung gegeben. Aber auch die Melancholie mancher Texte kam durch die Musik gut heraus. Obwohl der Abend fast zwei Stunden gedauert hat, war er nie langweilig.

Bettina und Miklós Cocron

 

Köszönöm szépen für einen wunderschönen Abend mit ungarischer Lyrik und Musik!

Das bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von Text, Musik und Bildern machte es einem sehr leicht, in die Welt Attila Józsefs einzutauchen.

Für mich als Komparatistikstudentin war vor allem dieses Ineinandergreifen von ungarischem Original und deutscher Übersetzung sehr spannend. Vergleichende Literaturwissenschaft live und gelebt!

Myriam-Naomi Walburg

 

Die Veranstaltung war sensationell, hat uns sehr gut gefallen. Vielen Dank, dass wir teilnehmen durften.

Herzlichst,

Anna-Maria Lopau und Otto Lopau