Lehrstuhl für Finnougristik
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Kolloquium - "40 Jahre Finnougristik in München"

Vierzig Jahre Finnougristik an der LMU München

Prof. Dr. Ingrid Schellbach-Kopra

Der Bitte, dieses Kolloquium anlässlich des 40jährigen Bestehens des Instituts für Finnougristik an der LMU mit einer kleinen Geschichte dieses Instituts einzuleiten, komme ich gerne nach.

Jubiläen bieten einen willkommenen Anlass des Rückblicks. Ich stelle meine Ausführungen in einen weiteren Rahmen, behandle das Münchner Institut im zweiten Teil.

Prof. emer. Ingrid Schellbach-KopraAus eigenem Erleben kenne ich dieses Institut erst seit d. J. 1990; vorher nahm ich nach meinem Studium in Deutschland die deutsche Finnougristik von Finnland aus wahr, wo ich seit meinem Examen lebte, das ich 1957 an der Universität Göttingen ablegte. Seit 1958 hatte ich eine Planstelle (Lektorat für Deutsch) inne, zunächst an der Universität Jyväskylä, dann in den 60er Jahren Tampere und schließlich ab 1965 in Helsinki. Wie mehrere Absolventen der Finnougristik seinerzeit erhielt auch ich in Finnland zunächst die Möglichkeit, im Bereich der Auslandsgermanistik zu arbeiten, die Finnougristik kam jedoch mit der Zeit immer stärker dazu. Ich darf hinzufügen, dass für mich mein akademischer Lehrer Wolfgang Steinitz und mein Doktorvater Julius von Farkas prägend waren. Mein Vorgänger hier in München, Gerhard Ganschow, war zur Zeit meines Studiums in Berlin unser Ostjakischlehrer. Zu meiner Zeit gab es also nur in Berlin und Göttingen eine institutionalisierte Finnougristik in Deutschland; und es gab die Bemühungen von v. Farkas, in Hamburg die Finnougristik an der Universität zu etablieren.

Soweit meine Erinnerungen.

Zu den Desiderata innerhalb der deutschen Finnougristik gehört eine monographische Aufarbeitung ihrer Geschichte, was natürlich auch die Dokumentation ihrer jüngsten Vergangenheit bedeuten würde. Wünschenswert wäre, daß sich ein versierter und unvoreingenommener Finnougrist dieser Aufgabe annähme. Vorarbeiten für eine seriöse Bearbeitung des Themas sind vorhanden, vor allem zu den einzelnen Instituten und Sprachen, besonders ausführlich auf finnisch in „Suomea ulkomailla“  Tietolipas 68, 1971. Die Reihenfolge der Institutsgründungen in Deutschland ist bekannt ; Berlin - Göttingen - Hamburg - München; Fennistik in Greifswald und Köln, Hungarologie in Berlin. Bis auf Berlin sind alle Institute für Finnougristik nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. In den 1980er und 1990er Jahren hat Wolfgang Veenker  dankenswerterweise detaillierte Übersichten über die in Deutschland vorhandene wissenschaftliche Beschäftigung mit den fiu. Völkern, ihrer Kultur, ihrer Geschichte, ihren Sprachen in verschiedenen Fachorganen publiziert.  Diese Dokumentationen wie auch die in der Zeitschrift „Finnisch-Ugrische Mitteilungen“ seit 1979 (bis SS 1994  FUM 16/17) veröffentlichten Lehrangebote im Fach Finnougristik an deutschen und österreichischen Universitäten zeigen, daß es sich um Auslandsfinnougristik handelt, ein Begriff, den wir häufiger verwenden sollten in Abgrenzung zu jener Finnougristik, die in Ländern mit einer fiu. Muttersprache betrieben wird. U.a. in der Germanistik ist eine solche Unterscheidung gang und gäbe. Warum ist sie auch für uns wichtig?  Allen Anwesenden  ist zur Genüge bekannt, wie wir hier innerhalb des Faches Finnougristik Themen abzudecken haben, für die es in Ländern mit Inlandsfinnougristik eigene Institute bzw. eigene Lehrstühle gibt.  Unsere Studienordnungen verpflichten uns zu einer Breite und Vielfalt, die durch die knappen Ressourcen im Lehrkörper eigentlich nicht zu schaffen ist. - Auch hinsichtlich der Berufsmöglichkeiten der Absolventen unseres Faches  sind der Auslandsfinnougristik  andere Aufgaben gestellt, denen man derzeit noch weniger gerecht werden kann als dem angesprochenen breiten Spektrum.

Neben der akademischen Lehre geht es natürlich um eine Dokumentation der Forschung. Die vorhandenen transnationalen historischen Überblicke sind für die Geschichte der deutschen Finnougristik, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse nicht als befriedigend zu bezeichnen; Ich denke an die als solche wichtigen Werke von Otto Donner (Öfversikt af den Finsk Ugriska sprakforskningens historia: 1872), Miklós Zsirai (Finnugor rokonságunk, 2. Auflage 1994) und Günther Stipa ( Finnisch-ugrische Sprachforschung. Von der Renaissance bis zum Neupositivismus.   1990).

Jedes dieser Werke hat seine eigene Ausrichtung, seine eigenen Verdienste.

Eine Geschichte der deutschen Finnougristik wäre verständlicherweise anders anzulegen, in den Ergebnissen aber nicht minder aufschlußreich. Ich kann eventuelle Interessenten nur ermutigen: Es gibt  nicht wenige und z.T. erstaunliche Quellen, die von viel früherer universitärer Beschäftigung mit unserem Fach  oder seinen Teilbereichen zeugen, als man gemeinhin weiß. In den FUF hat E. N. Setälä in Band 1 des Anzeigers 1901 „Die finn.-ugr. studien als universitätsfach“ behandelt und ausführlich über Berlin berichtet, wo Peter Feddersen Stuhr  (*1787 in Flensburg, + 1851) im SS  1846  einen Kursus über slav. und fi. Mythologie hielt, im folgenden Jahr über das Kalevala und die fi. Mythologie, schließlich in mehreren Semestern über fi. und lapp. Mythologie. - Bedeutend länger, nämlich 40 Jahre lang, hat Wilhelm Schott (ao. Prof. für altaische, tatarische und finnische Sprachen, seit 1838) auch die Finnougristik vertreten (s. Setälä a.a.O. 61 ff.). Nach Berlin führt Setälä noch die Universität Leipzig an.  Und er schreibt weiter: „Über die übrigen universitäten Deutschlands hat sich, trotz dr. G. Schmidt’s und meiner bemühungen, aus den zugänglichen quellen nichts in dieser hinsicht finden lassen.“ (S. 62)

Wer ist der genannte Dr. G. Schmidt?

Offenbar niemand anders als der legendäre Gustav Schmidt (1877-1945), heute allgemein bekannt als Fachmann für  kaukasische Sprachen. Legendär nenne ich ihn wegen seiner Vielseitigkeit: Er war auch und zunächst Lektor und zeitweise stellvertr. Professor für deutsche Sprache an der Universität Helsinki und ein hervorragender Übersetzer finnischer Belletristik (Aleksis Kivis Roman „Sieben Brüder“ wurde  noch 1980 in seiner Übersetzung, leicht „durchgesehen“ von Andreas F. Kelletat, in der Reihe Trajekt wiederveröffentlicht), er hat auch Juhani Aho, Johannes Linnankoski und Maria Jotuni übersetzt, aber auch Sachtexte ins Deutsche übertragen. 1922 erhielt er ehrenhalber den Professorentitel; 1932 wurde er zum ao. Prof. für Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft ernannt.

Zweites Desiderat: Ein ausführliches Nachschlagewerk zu Leben und Werk der zahlreichen Übersetzer von Fachliteratur und Belletristik aus dem Estnischen, Finnischen und Ungarischen ins Deutsche. Eine solche Quelle wäre  für die Übersetzungswissenschaft, für die Rezeptionsforschung u..a. m.  wichtig.

Ich darf noch einmal zu den Anfängen zurückkehren, nach Berlin. Es waren nämlich nicht die von Setälä genannten Namen, die den Anfang bilden. Sondern es war der Gründer der Berliner Universität, Wilhelm von Humboldt, der in Wien (1810-1813, 1814-1815) auf Anraten Friedrich von Schlegels das Studium des Ungarischen begann. Sein Lehrer war József Márton, Professor für ungarische Sprache in Wien, Herausgeber eines Lehrbuches der ung. Sprache, eines dt.-ung. und eines lat.-dt.-ung. Wörterbuches und Verleger fortschrittlicher ungarischer Schriften. In seine Beschäftigung mit dem Ungarischen und seine diesbezüglichen Forschungen integrierte Humboldt bald auch die anderen fiu. Sprachen, wie aus seiner Korrespondenz mit Heinrich von Klaproth hervorgeht. Dieser betonte in seinem Werk Asia Polyglotta 1823 die Affinität der altaischen Sprachen. In den 1840er Jahren wirkten auch die Brüder Grimm als Universitätslehrer in Berlin. Sie behandelten z.B. Probleme der ungarischen Literaturgeschichte.

Also sowohl v. Humboldt als auch die Grimms begannen mit dem Ungarischen. Jakob Grimm interessierte sich seit 1820 auch für das Finnische und die finnische Volksdichtung. 1845 hielt er in der Berliner Akademie der Wissenschaften seinen berühmten Vortrag über das Kalevala (Titel „Über das finnische Epos“), somit als erster Folklorist außerhalb Finnlands.

Nicht nur im 19. Jh. hatte die Berliner Universität eine wesentliche Bedeutung für die Finnougristik in Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg war es vor allem Wolfgang Steinitz, der durch sein Organisationstalent und seine wissenschaftlichen Arbeiten von entscheidender Bedeutung war für die Finnougristik in Deutschland. Anläßlich seines 100. Geburtstags am 28.2.2005  erschien eine Monographie von Annette Leo: „Leben als Balance-Akt. Wolfgang Steinitz. Kommunist Jude Wissenschaftler“. Es ist eine politische Biographie, erarbeitet am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Über die wissenschaftlichen Verdienste von Steinitz kann man sich ausführlicher informieren, wenn man die kürzlich in verschiedenen Zeitschriften erschienenen Aufsätze von Ewald Lang liest.

 Verlassen wir die Berliner Bühne, allerdings nicht ohne Hinweis darauf, daß mein verehrter Ungarischlehrer Béla Szent-Iványi 1961 einen lesenswerten, höchst kenntnisreichen Aufsatz geschrieben hat mit dem Titel „Finnisch-ugrische Sprachwissenschaft und Ungarnkunde an der Berliner Universität“.

Ein kurzer Hinweis mag genügen auf nicht-universitäre Institute in unserem Fachbereich. Man denke heute etwa an die Ungarn-Institute in Berlin, Stuttgart und München, an das Finnland-Institut in Berlin oder an die von deutscher Seite errichteten Goethe-Institute in Estland, Finnland und Ungarn. In ihrer Zielsetzung und Ausstattung sind sie außerordentlich heterogen.

Frühe Nachrichten über die Beschäftigung mit  der ungarischen und finnischen Sprache an der Münchner Universität  liegen seit Beginn der 1930er Jahre vor.

Seit dem WS 1929/30 war Dr. Zoltán Jókay als Lektor an der Universität angestellt und erteilte neben ungarischem auch finnischen Sprachunterricht. Jókay hatte fiu. Linguistik studiert, u.a. längere Zeit in Finnland. Seine Dissertation trug den Titel „Das Suppletivwesen der finnisch-ugrischen Sprachen“. In München hielt er auch Vorlesungen über ungarische Literatur- und Sprachgeschichte.  Dokumentiert ist die Tätigkeit in den UJb   21 (1941): Es wird für die erfaßten 10 Jahre eine Hörerzahl von insges. 366 für ungarische Sprache und Literatur angegeben, für die finnische Sprache interessierten sich in der gleichen Zeit 73 Hörer; es wurde ein Semesterdurchschnitt von 22 deutschen Studenten errechnet, nicht aufgeschlüsselt nach Sprachwahl.  Ab SS 1943 hatte Dr. Ákos Koczogh  das genannte Lektorat inne.

Bei der Gründung der Institute für Finnougristik in Deutschland waren häufig Querverbindungen z.B.  zur Slawistik, Nordistik oder Germanistik hilfreich; die heutige Entwicklung scheint  - auch international gesehen - in mancher Hinsicht dahin zurückzugehen.

Mir sind aus meiner Göttinger Zeit  die für die Entstehung und Entwicklung des dortigen Finnisch-ugrischen Seminars so wichtigen  Kontakte zwischen Slawistik  und Finnougristik bekannt; Unterstützung seitens der Slawistik ist auch in München dokumentiert, in einer interessanten geschichtlichen Phase. Der durch seine wissenschaftlichen Publikationen bekannte Slawist  Prof. Dr. Erwin Koschmieder (1895-1977), ab 1939 Lehrstuhlinhaber an der LMU, setzte sich Anfang der 1940er Jahre erfolgreich für die Gründung eines Lektorats für Finnisch und Estnisch an der Universität München ein. In einem diesbezüglichen Schreiben an den damaligen Universitätsrektor Wüst heißt es, es bedürfe kaum einer „Begründung, daß es an der Zeit ist, die in Deutschland so gut wie unbekannte Kultur dieses tapferen und uns befreundeten Volkes der studierenden Jugend näher zu bringen“. Es werde damit eine Ausweitung des Blickfeldes für die Sprachwissenschaft erreicht, durch Einbeziehung einer nichtindogermanischen Sprache. Dieser Antrag wurde seitens der Universität wärmstens befürwortet. Für die Besetzung der Stelle war Magister Santeri Ankeria  aus Wien ins Auge gefaßt, der das 1943 gegründete Lektorat für kurze Zeit auch übernahm. Im folgenden Jahr ging er zu weiteren Studien der Finnougristik nach Ungarn. Die Quellen besagen, daß man sich in München durch Vermittlung des damals hier ansässigen Finnischen Konsulats und besonders durch die Hilfe des finnischen Slawisten Mikkola um eine Neubesetzung bemühte, für die sich im Herbst 1944 eine Dame namens Irja Lukkarinen bewarb. Die von mir eingesehenen Vorlesungsverzeichnisse von 1941 -1945 führen fiu. Lehrgänge unter Philologien auf,  im Anschluß an Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft, Indische und Iranische Philologie.  Die genannten ungarischen Lektoren erteilten übrigens nicht nur Sprachunterricht, sondern veranstalteten auch Übungen zur Literatur und Kultur.

Das Ende des 2. Weltkrieges, der Zusammenbruch bedeutete in Deutschland in der Geschichte der einzelnen Universitäten, ihrer Institutionen,  ja oft auch der einzelnen Wissenschaften  eine Zäsur. Eine Aufarbeitung der Geschichte der einzelnen Fächer im Dritten Reich geschieht erst allmählich. Ich verweise hier auf die wichtigen Arbeiten von Frank-Rutger Hausmann (Romanist an der Universität Freiburg), der im Rahmen von DFG-geförderten Projekten u.a. die Geschichte der Romanistik, Amerikanistik und Anglistik  sowie der Geisteswissenschaften im Dritten Reich bearbeitet und publiziert hat. Im Zusammenhang mit einem Buch über die Geschichte der Europäischen Schriftsteller-Vereinigung  1941 - 1948 („Dichte, Dichter, tage nicht!“; 2004)  ist auch unser Fach tangiert.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Im akademischen Jahr 1946/47 sollte Prof. Dr. Julius von Farkas (1894 - 1958), bis Ende des Zweiten Weltkrieges Direktor des Ungarischen Instituts in Berlin und nach dem Krieg bereits mit einem Lehrauftrag in München, an die Universität München berufen werden. Die Durchsicht einschlägiger Unterlagen, vor allem Korrespondenz mit zuständigen Universitätsvertretern, ergab, daß J. v. Farkas auch nach dem Krieg noch Professor an der Humboldt-Universität Berlin war und auch von dort mehrfach zur Rückkehr aufgefordert wurde, dies jedoch  ablehnte.

München empfand er außerdem aufgrund von dessen geopolitischer Lage und dank der hier bereits vorhandenen angrenzenden Institutionen als besonders geeignet, ja geradezu verpflichtet, zu einem Zentrum der finnisch-ugrischen Forschung zu werden. J. von Farkas   hatte  die feste Überzeugung, München müsse „die Beziehungen zum finnisch-ugrischen Kulturkreis und die Pflege der fiu. Sprachwissenschaft fördern“. Die angestrebte Berufung hätte die Gründung eines entsprechenden Instituts ermöglicht. Das Vorhaben der Universität scheiterte jedoch am Bayerischen Finanzministerium. Da gleichzeitig auch die Universität Göttingen an der Finnougristik interessiert war, erhielt von Farkas einen Ruf an die Georgia Augusta, wo unter seiner Leitung im Wintersemester 1947/48 das Finnisch-Ugrische Seminar der Universität Göttingen errichtet wurde. Er leitete das Institut bis zu seinem Tod i.J. 1958.

Im Jahr 1949 wurde Wolfgang Schlachter (1908-1999)  auf Vorschlag des Indogermanisten Ferdinand Sommer mit einer Arbeit über die lappische Passivsyntax an der LMU München habilitiert. Schlachter hatte in Berlin und Göttingen Indogermanistik, Germanische Philologie, Slawistik und Philosophie studiert und 1935 in Berlin promoviert. Es ist seinem Lehrer Ernst Lewy zu verdanken, daß er sich der Finnougristik zuwandte. In Schweden studierte er 1936-40 u.a. bei János Lotz, Björn Collinder und Wolfgang Steinitz. 1940 hielt er sich zu Feldforschungen in Schwedisch-Lappland auf. Nach der 1949 erfolgten Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München hielt Schlachter als Privatdozent hier vom SS 1950 bis SS 1960 Vorlesungen und Übungen in Finnougristik. Es waren vor allem linguistische Themen, die behandelt wurden. In seinen Veröffentlichungen hat sich Schlachter  besonders um die Lappologie und die Fennistik verdient gemacht hat. Nachdem er nach dem Tod von v.Farkas 1958  im Jahr 1960 einen Ruf an die Universität Göttingen an das dortige Finnisch-ugrische Seminar erhalten und angenommen hatte, begann sein Schüler Hans Fromm (*1919), in München Unterrichtsveranstaltungen zur Finnougristik und zur finnischen Sprache zu halten, seit 1963.

Fromm hatte zunächst in Berlin Germanistik, Anglistik und Klassische Philologie studiert und in Tübingen 1946 promoviert. Die Habilitation erfolgte 1957 in München. Wie war Fromm zur Fennistik und Finnougristik gekommen? 1942 nach Finnland an die lappische Front eingezogen, lernte er noch in Berlin Finnisch und setzte die intensive Beschäftigung mit der Sprache in Finnland fort. Nach Krieg und Gefangenschaft führten ihn seine wissenschaftlichen Interessen bald wieder nach Finnland. Es erfolgte die Einstellung an der Universität Turku, wo er 1952-56 als Lektor für deutsche Sprache tätig war sowie (bis 1958) als Professor im gleichen Fach. Er entschied sich zur Rückkehr nach Deutschland. Als Professor für Germanistik, dessen Lehrbefugnis auch die Finnougristik umfaßte, hat sich Hans Fromm dann erfolgreich um die Einrichtung eines Lehrstuhls für Finnougristik an der Universität München bemüht. Es ist damit letztendlich ihm zu verdanken, daß im Sommersemester 1965 das Finnisch-Ugrische Seminar (seit 1974 Institut für Finnougristik, seit 2001 Institut für Finnougristik/Uralistik) an der Münchner Universität gegründet wurde. Nach Berlin (Humboldt-Universität), Göttingen und Hamburg war also München die vierte Universität in Deutschland, wo das Fach Finnougristik studiert werden konnte. Neben der Professur wurden in München gleichzeitig ein Lektorat für Finnisch und eins für Ungarisch errichtet.

Die akademische Lehre lag zuerst in der Hand von Hans Fromm, der auch später am Institut bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1987 Vorlesungen hielt. Die Vertretung des neu eingerichteten Lehrstuhls übernahm für ein Semester zunächst József  Erdödi (Universität Budapest). Im Wintersemester 1965/66 wurde der Lehrstuhl mit Gerhard Ganschow (*1923), einem Schüler von Wolfgang Steinitz, besetzt. Die Ernennungsurkunde ist auf den 7.10.1965 datiert. Prof. Dr. Gerhard Ganschow hatte dieses Amt bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 1988 (verlängert bis SS 1989) inne. Im Wintersemester 1989/90 war PD Dr. Hartmut Katz mit der Vertretung des Lehrstuhls beauftragt.  Unter der Leitung von Gerhard Ganschow bildete die Obugristik den Schwerpunkt in Forschung und Lehre.

In seiner Amtszeit waren wiederholt finnische und ungarische Fachvertreter für längere Zeit (z.B. 1 Semester, u.a. als Lehrstuhlvertretung bei Freisemestern) im Institut zu Gast und sorgten für die Lehre. Hier sind vor allem Eeva Kangasmaa-Minn und Alho Alhoniemi aus Turku, Mikko Korhonen aus Helsinki sowie György Lakó, Péter Hajdú und Károly Rédei aus Budapest zu nennen. Erwähnenswert ist ferner, daß der Fachvertreter für Ethnologie an der LMU, László Vajda, an unserem Institut über viele Jahre regelmäßig Lehrveranstaltungen zur Ethnologie der fiu. Völker hielt.

 In Ganschows Nachfolge war ich vom Sommersemester 1990 bis zur  Emeritierung im Wintersemester 2000 (verlängert bis Beginn SS 2001) als Leiterin des Instituts tätig. Meine Schwerpunkte lagen auf der vergleichenden Folkloristik, insbesondere der Phraseologie und Parömiologie, der Volkskunde der finnisch-ugrischen Völker, der fachbezogenen Lexikographie, der finnischen und ungarischen Literaturwissenschaft sowie der Übersetzungswissenschaft. Ab Sommersemester 2001 liegt die Leitung des Instituts bei Frau Prof. Dr. Elena Skribnik; ihre Fachgebiete sind Wogulisch, Syntaktische Typologie, Dokumentation und Beschreibung der uralischen Sprachen sowie Ethnologie der uralischen und altaischen Völker Sibiriens. - Die Ordinarien haben auch nach ihrer Emeritierung bzw. Pensionierung  Unterrichtsveranstaltungen und Prüfungen am Institut abgehalten.  (Genaueres s. unsere Homepage, wo auch die Gastvorträge sowie die Blockveranstaltungen externer Fachvertreter seit d.J. 2000 erfaßt sind; für die Jahre nach 1990 liegen entsprechende  Listen vor.)

Einen wichtigen Beitrag zu Forschung und Lehre leisteten auch die jeweiligen Assistenten, von denen besonders PD Dr. Hartmut Katz  (Spezialgebiet Samojedologie) und PD Dr. Eberhard Winkler (Spezialgebiet Ostseefennistik und Lappologie) erwähnt seien. Seit 2001 ist Dr. Gerson Klumpp als Assistent am Institut tätig (Spezialgebiet: Kamassisch, historische Uralistik sowie permische Sprachen).

Finnischunterricht durch von UKAN, dem finnischen DAAD,  entsandte muttersprachliche Lektoren gab es bereits im Jahr 1961-62 durch Leena Löfstedt und 1964-65 durch Pentti Toivakka; vom WS 1965 an existiert eine feste Planstelle, welches Lektorat Ilmari Hovila bis zu seiner Pensionierung im SS 1997 innehatte. Ihm folgte im Wintersemester 1997 Timo Karlsson; nach einer in der Bundesrepublik Deutschland zunächst geltenden Neuregelung, wonach die Dienstzeit muttersprachlicher Lektoren auf maximal fünf Jahre beschränkt war, endete seine Tätigkeit im SS 2002. Seit Wintersemester 2002 ist Satu Rakkolainen am Institut als Finnischlektorin tätig. Dem augenblicklichen Stand der Dinge nach wird der Finnischlektor an unserem Institut künftig alle zwei Jahre wechseln.

Das Institut verfügt seit dem Wintersemester 1965 auch über ein ungarisches Lektorat. Der in diesem Rahmen erteilte Ungarischunterricht lag zunächst in der Hand von Dr. Georg Heller (1965  -1989 ); ihm folgten Dr. Tibor Szücs (1989  - 1994 ), Edit Ecser-Kazimir (1994  -1999 ), und seit dem Wintersemester 1999 ist Mária Kelemen als Ungarischlektorin tätig. Seit 2004  hat sie die unbefristete Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin inne.

Ein Lektorat für Estnisch konnte am Institut trotz entsprechender fortgesetzter Bemühungen seit 1965 bisher nicht eingerichtet werden. Im Rahmen von Lehraufträgen gab es jedoch bis heute stets Unterricht im Estnischen,  1992 bis 2003 durch Ave Tarrend, ab 2003 durch Merike Steinert, beides Muttersprachlerinnen. Auch Udmurtischunterricht wurde  seit  1996  durch  muttersprachliche Lehrbeauftragte erteilt, bis 2000 durch Raissa Nohr, heute durch Zinaida Zinovyeva.

  Lehrbeauftragte sowie Gastdozenten und Gastvortragende (die beiden letzteren vor allem aus Finnland und Ungarn) haben stets zu einer Bereicherung des Unterrichtsprogramms beigetragen. Heute geschieht der Dozentenaustausch im Rahmen des ERASMUS-Programmes mit mehreren Universitäten in Finnland, Ungarn und Estland.

 

Publikationen

Die einzelnen Mitarbeiter des Instituts für Finnougristik haben entsprechend ihrer Forschungs- und Interessengebiete eine recht rege Publikationstätigkeit entfaltet. Darüber informieren Bibliographien u.a.  in Verbindung mit Festschriften; auch unsere Homepage enthält entsprechende Einträge. Daß die Schwerpunkte des Instituts seit seiner Gründung Ostseefennistik mit Lappologie und Obugristik waren, zeigt sich im Schrifttum der leitenden Mitarbeiter sowie auch in der Ausrichtung der Bibliothek.

Die Abschlußarbeiten der Studierenden sind dankenswerterweise in einem entsprechenden Verzeichnis erfaßt, das in Hamburg gesammelt und in den FUM veröffentlicht wurde ( zuletzt Band 18/19 FUM bis 1994/5).

 Als besonders  weitreichend mit internationaler Anerkennung ist  sicher das Schaffen von Hans Fromm zu nennen: seine Finnische Grammatik (1982), sein 1967 erschienener Kalevala-Kommentar und die Übersetzung sowie seine Lehnwortforschung (altgerman. LW  im Osfi.), womit er sich seit seiner Habilitation i.J. 1957 beschäftigte.

Absolventen bzw. Studierende des Instituts sind mitunter durch übersetzerische Tätigkeit in Form von Publikationen hervorgetreten (ich erwähne hier nur herausragende Leistungen).

So ist es nicht uninteressant, daß gerade die finnische Volksdichtung durch Übersetzungen aus München auf dem deutschen Markt vertreten ist: Ich denke an die weiterhin führende Kalevala-Übersetzung von Lore und Hans Fromm, die Kanteletar-Übersetzung von Trudelies Hofmann sowie ihre beiden Volkslieder-Bücher aus Finnland, die Ausgabe der finnischen Volksmärchen in der  Reihe „Märchen der Weltliteratur“ sowie die deutsche Fassung des Atlas der finnischen Volkskultur 2 von Matti Sarmela (die beiden letzten in meiner Redaktion bzw. Übersetzung).

Stefan Moster, heute einer der wichtigsten und erfolgreichsten Literaturagenten und Übersetzer finnischer Belletristik (Lyrik und Prosa), hat seine Ausbildung ebenfalls in München erhalten.

Seit 1973 gab es an unserem Institut eine eigene Publikationstätigkeit, die mittlerweile völlig erloschen ist. Das liegt allein an den mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten, da jeweils eine Eigen- bzw. Vorfinanzierung nötig wäre. Heute erscheinen entsprechende Untersuchungen z.B. in der Reihe VSUA. Herausgeber der Münchner Reihen war Gerhard Ganschow.

Es sind folgende Veröffentlichungen erschienen (ich nenne nicht die einzelnen Titel ):

  • 1. Münchner Universitätsschriften. Finnisch-Ugrische Bibliothek (4 Bände)
  • 2. Veröffentlichungen des Finnisch-Ugrischen Seminars an der Universität München:
  • Serie A: Die historischen Ortsnamen von Ungarn (20 Bände) Hg. Georg Heller u. Karl Nehring
  • Serie B : Beiträge zur Erforschung der obugrischen Sprachen ( 8 Bände)
  • Serie C: Miscellanae (21 Bände); der letzte Band erschien 1994: E. Winkler: “Salis-Livische Sprachmaterialien”.

In den Jahren 1976, 1983 und 1986 erschien in München die 3bändige Bibliographie der uralischen Sprachwissenschaft 1830-1970, herausgegeben von Gerhard Ganschow und Wolfgang Schlachter.

 

Ausblick

Das Institut für Finnougristik gehörte seit seiner Gründung der Fakultät 12 (heute: Fakultät für Kulturwissenschaften) an, seit 2001 ist es Bestandteil der Fakultät 13/14 (Fakultät für Sprach- u. Literaturwissenschaften; Department II Kommunikation und Sprachen).

Die Bibliothek des Instituts für Finnougristik hat derzeit einen Bestand von ca. 13.680 Bänden.

Die Anzahl der Studierenden betrug im SS 2005 im Hauptfach 41, im Nebenfach  81  Studierende. Angesichts dieser Studentenzahlen kann man nicht mehr von einem Orchideenfach sprechen.

Die Arbeit derer, die sich im Laufe der Jahrzehnte für die Finnougristik an der LMU eingesetzt haben, war zu keiner Zeit besonders leicht. Doch die Anstrengungen haben sich gelohnt. Mit Dankbarkeit, Anerkennung und Hochachtung können wir heute auf vierzig erfolgreiche Jahre zurückblicken, die für uns als Nachkommen und Zeitgenossen Ansporn und Verpflichtung sind.

Das Leben eines Menschen ist von Natur aus zeitlich begrenzt, das einer Institution nicht. Im Gegenteil: Für Wissenschaften und Institutionen bringt das wachsende Alter einzig und allein Vorteile.

Ich wünsche dem Institut für Finnougristik/Uralistik an der Münchner Universität mit all seinen Mitarbeitern und Studierenden, den jetzigen wie den künftigen, Erfolg und ein langes Leben!