Lehrstuhl für Finnougristik
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Gastvortrag Dr. Marjaliisa Hentilä

Bericht zum Gastvortrag am 28. November 2006

Dr. Marjaliisa Hentilä (Leiterin des Finnland-Instituts in Berlin)

"Frauenrechte und Frauenarbeit in Finnland"

Die Geschichte der Frauenarbeit und des Frauenwahlrechts in Finnland standen am Dienstag, den 28.11.2006, im Mittelpunkt des Vortrags, den Dr. Marjaliisa Hentilä, Leiterin des Finnland-Instituts in Berlin, im Jahr des 100. Jahrestages der Einführung des Frauenwahlrechts in Finnland im Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft hielt. Die Verknüpfung der Geschichte der Arbeiterbewegung mit der Frauenforschung, besonders mit den Aspekten der politischen Aktivitäten der finnischen (Arbeiter)-Frauen sowie Frauenrechten und die Themenfelder Frauen und Geschichtsschreibung und Frauen in der Kunst bilden den Schwerpunkt des Forschungsinteresses Marjaliisa Hentiläs, die sich nach einem Schüleraustausch entschied, ihr Abitur in Berlin abzulegen, danach Wirtschafts- und Sozialgeschichte studierte und schon damals begann, sich auf die Arbeiterbewegung und die Emanzipation der Arbeiterfrau zu spezialisieren. Nachdem sie zunächst in verschiedenen akademischen Einrichtungen und Archiven gearbeitet hatte, kehrte Marjaliisa Hentilä 2005 nach Berlin zurück, wo sie seitdem das finnische Kulturinstitut leitet, wie Prof. Dr. Ingrid Schellbach-Kopra in ihrer Einleitung hervorhob.

Die Rolle der finnischen Frau im Arbeitsleben bringt Marjaliisa Hentilä auf die einfache Formel „der finnische Mann konnte sich zu keiner Zeit eine Hausfrau leisten“. In ihrem Vortrag führte sie diese These auf die notwendige Mitarbeit der Frauen sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Industrie zurück, wo die Arbeit der Frauen maßgeblich zum Unterhalt der Familie beigetragen habe, so dass sich weder eine klare Rollenaufteilung hinsichtlich der zu verrichtenden Arbeiten noch ein Männerbild etablierte, das die Berufstätigkeit der Ehefrau als die Ehre des Mannes schmälernd ansah. Vielmehr, so betonte Marjaliisa Hentilä, sei es für die finnischen Männer stets selbstverständlich gewesen, dass auch ihre Ehefrauen arbeiteten. Außerdem stellte sie dar, dass sich die Arbeiterinnen und auch die Landfrauen in Verbänden organisierten, Netzwerke gründeten und sich in besonderem Maße in der Abstinenzlerbewegung engagierten, die für viele Arbeiterfrauen den Ausgangspunkt ihrer politischen Arbeit bildete.

Das Hauptziel dieser Arbeit war es, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für alle Bürger zu erreichen, wobei die Frauen der Arbeiterschicht – wie Marjaliisa Hentilä erklärte – von den Vertreterinnen der höheren Schichten zunächst für die Durchsetzung dieses Rechts für die Frauen der höheren Stände funktionalisiert werden sollten, wobei man nie beabsichtigt habe, die Arbeiterfrauen tatsächlich am Wahlrecht zu beteiligen. Die Parlamentsreform des Jahres 1906, in deren Zuge das bisherige Ständeparlament durch ein Einkammerparlament abgelöst wurde, habe Finnland, so Hentilä, aus der politischen Rückständigkeit an die Spitze der modernen Staaten katapultiert, da die Parlamentsreform gleichzeitig bedeutete, dass alle finnischen Staatsbürger, die das 24. Lebensjahr vollendet hatten, das aktive und passive Wahlrecht erhielten. Somit erhielten die finnischen Frauen als erste Frauen in Europa das aktive und passive Wahlrecht, das vor ihnen weltweit nur die Frauen einiger amerikanischer Bundesstaaten sowie die Frauen in Australien und Neuseeland ausüben durften. Als finnische Besonderheit hob Marjaliisa Hentilä dabei hervor, dass der Auslöser für die Zuerkennung des Wahlrechts in diesen anderen Ländern Situationen gewesen seien, in denen die kolonialen Gesellschaften sich und ihre Herrschaftsverhältnisse angesichts von außen drohender Gefahren (meistens in der Gestalt der indigenen Bevölkerungen) zu stabilisieren und zu verteidigen suchten, während in Finnland der Wahlrechtsreform keinerlei äußere Bedrohung dieser Art vorangegangen sei.

Den Abschluss des Vortrages bildete ein kurzer Überblick über einige der neun ins erste Parlament gewählten Sozialdemokratinnen, ihren persönlichen Hintergrund sowie ihre Amtszeiten und einige exemplarische Beispiele politischer Initiativen wie beispielsweise die kostenlose Schulspeisung und Wohnheime für ledige Mütter, die bereits in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts von finnischen Parlamentarierinnen angeregt worden waren, doch erst viel später umgesetzt wurden. Nach dem äußerst anregenden und sehr informativen Vortrag bot sich im Anschluss bei einem Glas Wein und Knabbereien die Möglichkeit zu einem zwanglosen Austausch über das Gehörte und zur Diskussion mit der Vortragenden, die gerne offen gebliebene Fragen beantwortete.