Lehrstuhl für Finnougristik
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Erfahrungsbericht Auslandssemester

Auslandssemester an der Helsingin Yliopisto, Finnland, Helsinki

September - Dezember 2006
Kontaktstipendium LMU / Helsingin Yliopisto

von Nina Hingerl

Europäische Ethnologie / Finnougristik / Theoretische Linguistik,
Ludwig-Maximilians-Universität München

 

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Horizont erweitern?
Sprachkenntnisse aufpolieren?
Den Alltag in einem anderen Land erleben?
Neue Dozenten, Institute und Hochschulen kennenlernen?

Vorüberlegungen

Die Drei SchmiedeDas sind nur ein paar der vielen guten Gründe für einen Auslandsaufenthalt während des Studiums. Ich persönlich habe mich unter anderem dafür entschieden, weil Interkulturelle Kompetenz sowohl in meinem Hauptfach an der Uni wie auch in Alltag und Berufsleben heutzutage eine immer größere Rolle spielt.
Meine Vorliebe für die finnische Sprache beruht zum einen auf meinem allgemeinen Interesse für linguistische Phänomene, zum anderen aber auch einfach auf meiner Schwäche für dieses originelle Völkchen am Rande Europas.
Zwei Jahre zuvor hatte ich schon einen vierwöchigen Sommersprachkurs in Jyväskylä besucht, diese Erfahrung wollte ich gerne vertiefen. Dass die Uni Helsinki über Frau Prof. Schellbach-Kopra als Kontaktperson interessierten Studenten ein Kontaktstipendium anbietet, war eine großartige Gelegenheit für mich.

Für die Bewerbung war ein Onlineformular auszufüllen, anschließend musste eine Liste der an der LMU absolvierten Kurse und ein vorläufiger Stundenplan für das Auslandssemester an die Uni Helsinki gefaxt werden. Anfang April habe ich sie abgeschickt, Ende Juni kam endlich die Bestätigung, dass ich das Herbstsemester 2006 in Helsinki verbringen dürfe.

Unterkunft

Zeitgleich mit der Zusage der Universität kam ein Angebot der Wohnheimsverwaltung HOAS für ein Zimmer im Studentenwohnheim Pasila. Die Wohnheimsverwaltung bewies außergewöhnliche Kulanz und Flexibilität, als ich nach der Stornierung eines bereits gebuchten Hotelzimmers sehr (!) kurzfristig eine bezahlbare Bleibe für die Woche vor Semesterbeginn suchte und in einer anderen Wohnheims-WG untergebracht werden konnte.
Beide Zimmer gehörten zu Apartments für fünf bzw. sechs Studenten, die sich eine gemeinsame Küche, zwei Toiletten und ein Bad teilten. Das Wohnheim war architektonisch kein Augenschmaus, aber dafür sehr nahe beim Bahnhof Pasila, was uns mit hervorragender Zuganbindung ins Zentrum und lebenswichtiger Infrastruktur (Kebab-/Pizzalokal, Kioski, Supermarkt...) versorgte. Noch zentraler gelegen ist nur das Wohnheim "Domus Academica" in der Leppäsuonkatu.

ZimmerDie Zimmer waren schlicht eingerichtet und klein, aber mit kostenlosem Internet ausgestattet (die Organisation des Studiums in Helsinki setzt Internetzugang quasi voraus). Leider waren offenbar unsere Vormieter ziemliche Ferkel, die nicht nur massenweise angebrochenes Shampoo und einen gefüllten Kühlschrank hinterließen, sondern sogar getragene (!) Socken und Unterwäsche. Nach einer energischen Grundreinigung (und einem Anruf bei HOAS) war das aber behoben.
Sehr bedauerlich fand ich die Strategie der Wohnheimsverwaltung, Austauschstudenten strikt getrennt von den einheimischen Studierenden unterzubringen. So gut ich mich auch mit meinen Mitbewohnerinnen verstanden habe, lieber hätte ich mit Finnen zusammen gewohnt, um meine Finnischkenntnisse zu trainieren. Andererseits war es auch sehr interessant und bereichernd, in einer so multikulturellen WG zu leben und sich über den Alltag in Texas, China, Russland und Singapur auszutauschen.

Behördenkontakte

Eine von der Uni Helsinki eingeteilte Pick-Up-Studentin holte mich vom Flughafen ab und half mir in den ersten Tagen bei den Behördengängen. Ein toller Service! Diese Betreuung wurde in der ersten Semesterwoche abgelöst von einer Tutorin, die uns in einer kleinen Gruppe die wichtigsten Institutionen der Universität zeigte. Mit meiner engagierten, netten Tutorin war ich sehr glücklich, meine Mitbewohnerinnen in anderen Gruppen hatten jedoch zum Teil überforderte oder unmotivierte Tutoren erwischt. Pick-Up-Student und Tutor begleiten einen bei den wichtigsten Behördengängen und stehen jederzeit für Fragen zur Verfügung.
IndustriehafenAn das Nummernziehen bei den verschiedensten Behörden, im Büro der Verkehrsbetriebe HKL, dem Studentenbüro der Universität und bei der Bank gewöhnt man sich recht schnell. Allerdings widerspricht es meiner Meinung nach der finnischen Naturverbundenheit, wenn man als erste und einzige Person in der "Warteschlange" dennoch einen Zettel ziehen und direkt wieder wegwerfen muss. Naja, Ordnung muss halt sein.

Das Eröffnen eines Bankkontos gestaltete sich bei meinem ersten Versuch vor Semesterbeginn als problematisch, da die Schalterbeamtin ausschließlich Finnisch verstand und überdies darauf beharrte, dass das erst nach erfolgter Immatrikulation möglich sei. Dafür erwiesen sich die Angestellten beim zweiten Anlauf als umso freundlicher. Sie wickelten die Angelegenheit auf meine eigene Bitte hin ebenfalls auf finnisch ab, waren aber ausgesprochen liebenswürdig, geduldig und erfreut über die Tatsache, dass ich ihre Muttersprache lerne.
Mit dem Herbstsemester 2006 erfolgte an der Uni Helsinki die Umstellung der Studentenausweise von der UniCard zur städteübergreifenden LyyraCard. Leider war offenbar die Nachfrage zu Beginn des Semesters sehr hoch, die Auslieferung verzögerte sich um mehrere Wochen. Auch hier hatte ich selbst wieder Glück und konnte meine Karte nach gut drei Wochen abholen - eine meiner Mitbewohnerinnen musste praktisch das ganze Semester ohne Studentenausweis (und die damit verbundenen Rabatte!) auskommen. Auf alle Fälle ist es dringend ratsam, die Karte so früh wie möglich zu bestellen.

Studium

SenatorplatzDer zentrale Campus der Uni Helsinki verteilt sich auf mehrere Gebäude im Bereich zwischen Senatsplatz und Kaisaniemi. Der englischspachige Orientierungskurs für Austauschstudenten in der ersten Woche fand im Porthania-Gebäude statt, das neben Hörsälen auch das modernste UniCafé (Mensa), Sporteinrichtungen und einen Laden mit Lehrbüchern und Schreibwaren beherbergt. Weitere Hörsäle, Repräsentationsräume, Büros und ein anderes UniCafé befinden sich im Hauptgebäude direkt am Senatsplatz. Andere Kurse hatte ich im sogenannten "Metsätalo" und im Nachbargebäude (Unioninkatu 40); in ersterem sind unter anderem die Bibliothek der Humanistischen Fakultät und ein weiteres großes UniCafé untergebracht.
In sämtlichen Universitätsgebäuden gibt es Computerklassen und zum Teil sogar auf den Gängen frei zugängliche Computer mit Internetzugang - sehr praktisch, wenn man anfangs noch leicht desorientiert ist und lieber nochmal im Online-Vorlesungsverzeichnis nachschlagen will, wo genau denn nun die nächste Veranstaltung stattfinden wird...
Studenten ohne eigenen Computer können im Lernzentrum Aleksandria auf mehreren Etagen Multimedia-Arbeitsplätze mit Druckeranschluss etc. nutzen. Dort befindet sich auch die gut sortierte Undergraduate Library. Ein Nachbargebäude der Universität ist die wunderschöne, altehrwürdige Nationalbibliothek, die zusammen mit den Universitätsbüchereien im HELKA-Katalog erfasst ist. Weitere ergiebige Bücherquellen sind unter anderem die Stadtbibliothek und die Deutsche Bibliotkek Helsinki.

Alexis KiviMeinen kultur- und sprachwissenschaftlichen Interessen entsprechend besuchte ich verschiedene Kurse beim Institut für finnische Sprache und Kultur, bei den Germanisten, den Klassischen Philologen, dem Christina-Institut für Genderforschung und dem Sprachzentrum. In ganz besonders guter Erinnerung werden mir der Schwedisch-Anfängerkurs bei Jörgen Svensson, die finnischsprachige Einführung in Phonetik bei Eija Aho und Irina Novikovas Kurs "Gender and Nation in the Baltic Modernities" bleiben. Die Seminare basierten überwiegend auf Frontalunterricht, wieviel Mitarbeit dabei von den Studenten erwartet wurde ist vom Dozenten abhängig.

Das Bestehen der meisten Kurse hängt von einer bzw. mehreren Klausuren ab, in manchen Fällen werden im Laufe des Semesters auch kurze Essays, Referate oder Seminararbeiten verlangt. Wichtiger Bestandteil des Prüfungssystems sind Buchprüfungen und Klausuren ohne vorhergehende Seminare zum Thema, bei denen sich der Student das Wissen zum Thema aus einem vorgegebenen Fachbuch aneignet. Die Umstellung im Zuge des Bologna-Prozesses ist in vollem Gange - die erbrachten Prüfungsleistungen werden momentan in neuen ECTS-Punkten, im alten finnischen Punktesystem und in einem fünfstufigen Notensystem angegeben.
Allgemein scheint mir der Fokus der finnischen Universitätsausbildung mehr auf dem Aneignen von Fachwissen als auf selbständigem wissenschaftlichem Arbeiten und Methodenreflexion zu liegen, vielleicht würde sich dieser Eindruck aber in noch weiter fortgeschrittenen Kursen relativieren.

Finanzielles

StockmannEin finnisches Bankkonto war in meinem Fall notwendig wegen des Stipendiums, aber auch sonst ist es sehr empfehlenswert. Damit ist das Abheben von Bargeld am OTTO-Automaten kostenlos und man kann Onlinebanking und eine Geldkarte (VisaElektron) nutzen. Das bargeldlose Einkaufen ist in Finnland sehr viel üblicher als in Deutschland, man kann anstandslos einen Becher Joghurt an der Supermarktkasse oder ein einzelnes Getränk im Lokal mit der Karte bezahlen. Daran gewöhnt man sich übrigens unheimlich schnell - allerdings habe ich immer noch Probleme, mich wieder an die deutschen Verhältnisse anzupassen...

Dass in Finnland die Lebenshaltungskosten etwas höher sind als in Deutschland, dürfte allgemein bekannt sein. Spürbar günstiger war der Lidl in Pasila, aber auch die einheimischen Supermärkte haben billigere Eigenmarken. Das Essen in der Mensa war preislich (und geschmacklich!) mehr als in Ordnung - übrigens haben die UniCafés in den verschiedenen Universitätsgebäuden eine unterschiedliche Speisekarte, so dass man in einem Radius von wenigen hundert Metern eine recht große Auswahl günstiger Mahlzeiten hat. Außerdem bieten viele Restaurants und Bistros Mittagsangebote (lounas) zwischen sieben und neun Euro an. Die regulären Preise in Speiselokalen sind dagegen absolut nicht studentenfreundlich. Erstaunlich teuer sind Büroartikel wie CD-Rohlinge und Tintenpatronen, eine 20er-Spindel Leer-CDs kostete mich über fünfzehn Euro - besser von Deutschland aus mitnehmen!
Der Studentenausweis - die Lyyracard - berechtigt zu diversen Vergünstigungen im Gesundheitswesen, in Unicafés und Jugendherbergen. Besonders nützlich sind die ermäßigten Tarife im Bus- und Eisenbahnverkehr sowie angeblich auch bei Finnair.

Leider verkehren von München aus keine billigen Fluglinien nach Helsinki, deshalb hatte ich nur die Auswahl zwischen Lufthansa und Finnair. Je nachdem, wie früh im Voraus man bucht und wieviel Zeit zwischen Hin- und Rückflug liegen, hat mal die eine, mal die andere Fluglinie den billigeren Tarif - genaues Vergleichen lohnt sich! Ich hatte Gelegenheit, beide auszuprobieren und der einzig wesentliche Unterschied im Komfort war meines Erachtens die schmackhaftere Mahlzeit bei Lufthansa.

Freizeit

Schokoladenfabrik FazerSich bei der Mailinglist von ESN (Erasmus Student Network) einzutragen, ist auf alle Fälle eine gute Idee, auch wenn man kein "echter" Erasmus-Student ist. Diese Organisation bietet allerlei Programm für Austauschstudenten, unter anderem wöchentliche Parties und Kochkurse für traditionell finnische Gerichte (Achtung: Extrem schnell ausgebucht, oft innerhalb weniger Stunden!). Zum Sprachenlernen ist das wöchentliche "Café Lingua" empfehlenswert, wo sich Muttersprachler und Fremdsprachenlerner der unterschiedlichsten Sprachen treffen. Außerdem organisiert ESN diverse Ausflüge, zum Beispiel zur Schokoladenfabrik Fazer - wo man sich dann kostenlos an den Produkten vollfuttern darf...

Nur zwei Busstationen vom Wohnheim in Pasila entfernt liegt auf einem Hügel der Vergnügungspark von Helsinki, Linnanmäki. Dort kann man ganz nach Belieben entweder kostenlos durchschlendern, ausgewählte Attraktionen einzeln bezahlen oder mit einer Tageskarte (Armband) sooft fahren, wie man will. Die Aussicht über die Stadt ist sensationell, vor allem wenn man in einem der höheren Fahrgeschäfte sitzt!

Die orthodoxe Uspenski-KathedraleDie Inseln rund um Helsinki laden zu Ausflügen ein, Pflichtprogramm sind sicherlich die Festungsinsel Suomenlinna, der Zoo auf Korkeasaari und das Freilichtmuseum auf Seurasaari. Viele der Museen in der Stadt (Nationalmuseum, Ateneum, Stadtmuseum, Kiasma usw.) gestatten einmal wöchentlich freien Eintritt, sehenswert sind sie allemal. Beeindruckend anzuschauen fand ich auch die Kirchen im Stadtgebiet, allen voran natürlich den Dom direkt bei der Uni, die Uspenski-Kathedrale, die Felsenkirche und die Kirche von Kallio - um nur einige zu nennen...

LinnanmäkiDa ich im Herbstsemester in Helsinki war, konnte ich ein paar saisonale Veranstaltungen erleben, zum Beispiel den traditionellen Heringsmarkt Anfang Oktober, den "Karneval der Lichter" in Linnanmäki, die verschiedensten Weihnachtsmärkte und die Eislaufbahn direkt am Bahnhofsplatz. Für Musikliebhaber bietet Helsinki zu vergleichsweise moderaten Preisen die Gelegenheit, im Rest Europas noch unbekannte finnische Bands zu entdecken - dort fällt es auch leichter, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen.

Ein Tagestrip nach Tallinn durfte natürlich auch nicht fehlen, die mittelalterliche Altstadt ist ganz entzückend! Das Wetter weniger, unser Stadtrundgang ging im heftigen Schneegestöber unter und wegen der stürmischen See mussten wir für die Rückfahrt auf ein größeres Fährschiff umbuchen. Später habe ich erfahren, dass in derselben Nacht ein Containerfrachter vor der schwedischen Küste kenterte...
Für Studenten werden sehr günstige Ausflüge nach St. Petersburg und Lappland angeboten. Da ich aber einerseits Gruppenreisen nicht sehr liebe und andererseits vor einigen Jahren bereits in St. Petersburg war, habe ich mir die entsprechenden Studententrips gespart. Sehenswert sind die Ausflugsziele aber allemal!

Fazit

Bahnhof Pasila im abendlichen NebelMein Semester in Helsinki war eine wunderschöne Zeit und hat mir viele wertvolle Erfahrungen ermöglicht. Sowohl das Studium an der traditionsreichen Universität von Helsinki wie auch das (Ein-)Leben in einer fremden Stadt bereichern meine akademische Ausbildung und meine Sicht auf die Welt. Für mich war es sicher nicht der letzte Besuch in Finnland!

Nina Hingerl