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Nyári Egyetem Budapest 2014

Nyári Egyetem Budapesten – Balassi Intézetben

2014. augusztus – Sandra Verena Welte

 

A rakodópart alsó kövén ültem,
néztem, hogy úszik el a dinnyehéj.
Alig hallottam, sorsomba merülten,
hogy fecseg a felszín, hallgat a mély.
Mintha szívemből folyt volna tova,
zavaros, bölcs, és nagy volt a Duna […].

A Dunánál – József Attila, 1936

 

Es sind die Literatur, die Poesie, die Dichtung und die Verskunst, welche den wahren Schlüssel zur Seele eines Ungarn darstellen, unumgänglich, unerlässlich zur Ergründung jenes Landes, welches einer Insel im weiten Ozean gleich inmitten von Europa liegt, umgeben von all den slawischen Staaten als auch Balkannationen, von denen es sich doch in so signifikanter Weise unterscheidet. Meine Reise nach Budapest und mein Aufenthalt am Balassi Intézet, wo ich mich zunächst vorrangig dem Studium des Ungarischen zu widmen gedachte, entwickelte sich dergestalt vor dem Hintergrund der zahlreichen zusätzlich gebotenen Exkursionen, Ausflüge und Vorträge zu einer ganzheitlichen Erfahrung, die sich intensiver wie zugleich bereichernder hätte kaum gestalten lassen können. Vier Wochen mit enthusiastischen, von der Welt der Magyaren faszinierten jungen Menschen aus aller Herren Länder zusammenlebend, war es darüber hinaus der rege Austausch, welcher Freundschaftsbänder allmählich wachsen ließ, um diese durch die gemeinsamen Eindrücke mit verstreichender Zeit zu festigen. Eine kulturelle Diversität hinsichtlich typischer nationaler Sitten und Traditionen wurde gebündelt in dem von allen geteilten Streben, in die Tiefen der ungarischen Sprache, Mentalität und Geschichte einzutauchen, mit dem Wunsch, am Ende des Monats die passenden Puzzleteile gesammelt zu haben, um das bis dahin gewonnene Gesamtbild dieses Volkes zu komplettieren und zu vervollständigen.

Fast dreißig Jahre sind vergangen, seit meine Eltern ihre Rundreise durch Ungarn unternommen haben, als sie während einiger Wochen, von Budapest startend, durch die sich endlos erstreckenden, unbeschreiblich schönen Landschaften hindurchfahrend alle größeren Städte bestaunten. Noch heute von jener damaligen Zeit nachhaltig, eindringlich, mitreißend schwärmend, reifte bei ihren Erzählungen in mir das Verlangen, jene Pracht dieses Landes mit eigenen Augen bestaunen zu dürfen, weshalb sich der universitäre Sprachkurs zu Beginn des Wintersemesters vergangenen Jahres als hervorragende Möglichkeit anbot, diesen Traum zu realisieren. So wage ich nun, nach jenen vier Wochen, nicht nur meine Hoffnungen als mehr denn bestätigt zu bezeichnen, sondern überdies Einsteins Theorie bezüglich der Relativität von Zeit unterstreichend herbeizuziehen! „Aus einer Zeitkapsel aussteigen“, so musste es sich anfühlen, durchfuhr es mich in just diesem Augenblick, da ich am Keleti Bahnhof auf meinen Zug zurück nach Deutschland wartend realisierte, wie rasch die letzten Tage und Wochen vergangen, ja beinahe zerronnen waren, hatte „Zeit“ während des Aufenthalts am Balassi Intézet eine gänzlich neue Notion erhalten.

Die Seele des Ungarn, sie ist Tochter der süßen Melancholie, des stolzen Tragens und Ertragens einer wechselvollen, von Belagerung als auch Eroberung imprägnierten Geschichte, des Erfinderreichtums und der zähen Persistenz, allen Widrigkeiten zum Trotz mit von Erhabenheit geschwollener Brust die bisweilige Bürde der Existenz als Magyar überzustreifen. Zugleich jedoch war es die aus tiefstem Herzen rührende Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, welche mir augenblicklich ein Gefühl von Heimat sowie Willkommensein schenkten, erinnere ich mich allzu gut an jene Szene im Bus, als mir zuletzt nicht nur der Chauffeur, sondern das gesamte an Bord sitzende, mitreisende Volk half, den richtigen Ausstieg zur Margareteninsel zu nehmen. Oder die Begeisterung der freundlichen Damen im Petőfi Sándor Múzeum, sobald ich – natürlich auf Ungarisch – den Grund meines Aufenthalts nannte, lobten sie sogleich voller Enthusiasmus meine erworbenen Sprachkenntnisse, um für mich daraufhin mit engelsgleicher Geduld eine private Tour durch die Ausstellungsräume zu organisieren. Fast drei Stunden später verließ ich auf diese Weise das Literaturmuseum, nachdem mir während meiner Privatführung in einfachem, verständlichen magyarul die Einzelheiten aus dem Leben des Nationalhelden geschildert worden waren.

Die Hingabe an die eigene Sprache neben dem Stolz auf die reiche Kultur waren es zugleich, welche in der Unterrichtsweise jedes einzelnen der drei Lehrer hindurchschienen, wodurch jede Stunde zu einem kleinen, genussvollen „Spektakel“ avancierte, wenn insbesondere einmal mehr der sehr subtile ungarische Sinn für Humor, die Leichtigkeit im Herzen der Menschen dieses Volkes, hindurchschimmerte. Kaum sinnvoller, bereichernder, inspirierender hätte ich meine Semesterferien zu füllen gewusst, denn mit dem Studium jener exzeptionellen Sprache mit ihrem weichen, melodiösen, sacht trommelnden Klang, in welcher manchmal gar einzelne Worte von solch lautmalerischem Wert sind, dass die literarische Figur der Onomatopoesie gar eine neue Bedeutung erfährt. In dieser Art fühlte ich mich stets an die biblische Geschichte des „Turmbaus zu Babel“ erinnert, mit der Konklusion, Gott musste wohl bei der Zerstreuung der Menschen in alle Herren Länder das Ungarische als Medium, Ausflussrohr und Mittler der Poesie auf Erden herabsinken gelassen haben.
Einen Höhepunkt für mich markierte vor diesem Hintergrund der Vortrag der referierenden Literaturprofessorin, waren es insbesondere die von ihr gewählten und daraufhin gemeinsam analysierten Texte, welche mir eines der wertvollsten Puzzleteile auf meiner Entdeckungsreise des Magyarországs in die Hände legte. Hingabe und Leidenschaft paarten sich mit jener bittersüßen Schwermut, um den literarischen Werken eine Facette von unwahrscheinlicher poetischer Schönheit zu schenken, dem Blick ins Innere der Magyaren gleich.

Doch wo die Melancholie auf der einen Seite wohnen mag, so findet sie ihr Pendant in der Lebensart der Kávéház und Sörözőkert, welche von einer eigenartigen Dynamik geprägt, Ihresgleichen im restlichen Europa vergeblich suchen ließen. Es waren dabei für mich vorrangig die noblen und traditionsreichen Kaffeehäuser, die meine eigene Passion erblühen und mein Herz vor Freude überquellen ließen, als ich stundenlang in diesen mit all den verschiedenen Teilnehmern sitzend, philosophische Gespräche führend durfte, die unter dem Dach des internationalen Austausches stehend, für alle Ewigkeiten eine wertvolle Erinnerung bleiben werden.
In diesem Sinne war der Aufenthalt am Balassi Intézet in Budapest eine unglaubliche Zeit, die in Worte zu kleiden eines Romans bedürfte, denn im Laufe der Wochen gar eigene „ungarische“ Facetten an mir selbst entdeckend, werde ich auf jeden Fall eines Tages in jenes bezaubernde Land zurückkehren!