Lehrstuhl für Finnougristik
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Ungarischer Filmabend der besonderen Art

München, 25.06.2008

von Annamaria Lopau

Ungarischer Filmabend der besonderen Art

Im diesjährigen Programm des Filmfestes München entdeckte unsere Lektorin für Ungarisch, Frau Kelemen, den einzigen finnougrischen Beitrag, den Film The Emigré, die Verfilmung des Tagebuches von 1984-1989 des berühmten ungarischen Schrift-
stellers Sándor Márai.
Ihre Auswahl für den nächsten ungarischen Filmabend des finnisch-ungarischen Filmclubs war damit getroffen, so lud sie uns diesmal ins Forum Kino 3 auf der Museumsinsel am 25.06.08 um 21.30 ein.

Trotz ungewohnt später Stunde und EM Halbfinale Deutschland-Türkei trafen sich genügend Interessenten, die mit einem außergewöhnlichen Filmerlebnis belohnt wurden. Die Verfilmung von Tagebüchern ist an sich schon sehr gewagt, da keine Handlung im üblichen Sinn, keine Aktion stattfindet. Auch der dargestellte Lebensabschnitt - die letzten 5 Lebensjahre von Márai - ist trist, von Einsamkeit,Gebrechlichkeit und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet. Die Regisseure István Dárday und Györgyi Szalai wie auch der Schauspieler Ferenc Bács haben Großartiges geleistet.

Mit Márais Lebensweg beschäftigten wir uns im Rahmen verschiedener wissenschaftlicher Übungen. Der bedeutende Schriftsteller Ungarns der 1920-30-er Jahre erlitt viele schmerzliche Verluste. Kurz nach der Geburt starb sein einziges Kind. Im 2. Weltkrieg verlor er sein Zuhause, seine Bibliothek. 1948 verlor er schließlich seine Heimat, er emigrierte zwar aus eigenem Entschluss, jedoch aus politischen Gründen. Er war kein Ideologe, der die menschliche Welt allein aus rechter oder linker Sicht kannte, er wollte geradeaus sehen. "Es ist so schwer, ein Mensch zu sein." Nach einigen Zwischenstationen ließ er sich in den USA nieder, heimisch wurde er dort aber nicht.

Seinen Lebensabend verbrachte er in San Diego, wo das Tagebuch entstand. Márai und seine Frau Lola, betagt, von Krankheiten gezeichnet, stark sehbehindert, lebten mit der Mühsal des Alterns, verloren geliebte Menschen, Freunde und Kollegen. Seine Frau starb im Pflegeheim, im "Kaufhaus des Todes". Mit dem Tod seines Adoptivsohnes verlor er den letzten Menschen, der ihm etwas bedeutete. Müdigkeit, Schwäche, taumelnder Gang, wie wenn die Batterie leer ist und die Taschenlampe nur noch glimmt. Allmähliche Interessenlosigkeit, kurze zynische Stellungnahmen, Notizen zu den Ereignissen, immer mühsamer werdendes Lesen, Hilflosigkeit, so schildert er seinen Alltag. Das Ende seines Lebens, "das letztlich nichts gebracht hat außer einem grotesken Alter und einem absurden Tod". Der Wunsch gemeinsam gehen zu dürfen ging nicht in Erfüllung. "Bleiben, helfen bis zum letzten Augenblick, solange wir können, sie oder ich. Dann aufpassen, dass ich rechtzeitig gehe." Ein Sturz, ein Schlaganfall kann aber den "Konsumtod" bedeuten. Man darf es nicht überstürzen, man darf aber den "guten Tod" nicht verpassen. 3 Jahre nach dem Tod seiner Frau nahm er sich das Leben.

Die Filmemacher Frau Györgyi Szalai und Herr István Dárday stellten sich nach dem Film dem Publikum vor und forderten sie auf, ihre Eindrücke zu schildern, Fragen zu stellen. Die Übersetzung übernahm unsere Lehrbeauftragte Frau Dr. Gabriella Maráz. Die Ergriffenheit der Zuschauer ließ nur schwer ein Gespräch entstehen, vermittelte den Produzenten jedoch die gleiche Reaktion wie bereits in Ungarn. Daher gewährten sie uns erst einmal Einblicke in die Entstehung des Filmes.

Frau Kelemen bat sie, die Gelegenheit wahrzunehmen, unser Institut aufzusuchen und nahm deren Angebot an, sie bei der Auswahl der Filme für den Filmclub zu unterstützen. Eine große Überraschung war diese Vorführung auch für die Filmemacher, da sich die Nichte von Márai unter den Zuschauern befand.